Stellenkommentar JGB 34, KSA 5, S. 52 263
es nahelegt, ist die Kontrafaktur jener berühmten Beschreibung der Belger zu
Beginn von Caesars De bello Gallico. Deren Quintessenz ist, dass Kunst und
Kommerz effeminierten, entmännlichten („horum omnium fortissimi sunt Bel-
gae, propterea quod a cultu atque humanitate provinciae longissime absunt
minimeque ad eos mercatores saepe commeant atque ea, quae ad effeminan-
dos animos pertinent, important“. Gaius lulius Caesar: Commentarii de bello
Gallico 11, 3. „Von ihnen sind die Belger die stärksten, da sie sich vom Kult und
der Humanität der Provinz am weitesten entfernt halten und kaum Kontakt mit
fremden Kaufleuten halten, die bei ihnen deshalb auch keine Waren einführen,
welche zur Verweiblichung der Geister beitragen“). Vgl. zu Letzterem NK ÜK
JGB 248.
34.
JGB 34 setzt ein mit einer globalen Lagebeurteilung „der Philosophie“ „heute“
(52, 16), für die - ganz gleichgültig, welchen Standpunkt sie sonst einnimmt -
die „Irrthümlichkeit der Welt“ als „das Sicherste und Festeste“ (52, 17-
19) erscheint. Bereits die Begriffswahl, die auf Descartes’ fundamentum incon-
cussum, das unerschütterlich sichere Fundament aller Erkenntnis, nämlich das
ego cogito, das denkende und dadurch daseinsgewisse Ich anspielt (Rene Des-
cartes: Meditationes de prima philosophia II 3), gibt den Rahmen vor, in dem
sich die neuzeitliche Philosophie bewege, nämlich den cartesianischen Rah-
men. Das gelte selbst und gerade dann, wenn die Philosophie in N.s Gegenwart
die (Selbst-)Gewissheiten Descartes’ verabschiedet hat: Sie bleibe befangen im
Bedürfnis nach etwas felsenfest Sicherem - und sei dieses Sichere auch die
fundamentale Unsicherheit. Die Wendung „Irrthümlichkeit der Welt“ ist frei-
lich unterbestimmt (alternativ heißt es 52, 23 „Falschheit der Welt“): Meint
sie, dass die Annahme einer (Außen-)Welt bereits ein Irrtum ist, oder dass es
irrtümlich ist, zu glauben, wir könnten die Welt erkennen wie sie ist? Der Fort-
gang des Gedankens zeigt die Philosophen jedenfalls auf der Suche nach dem,
was dieser Irrtümlichkeit zugrunde liegt, wobei sie dann bald auf das Denken
als möglichen Täuscher verfallen - auch hier wirkt, mit dem ,„ Geist“4 (52, 22)
deutlich markiert, die cartesische Angst nach, von einem genius malignus ge-
täuscht zu werden (vgl. Meditationes I) -, ohne dann freilich konsequent genug
dieses Denken selbst dem „Misstrauen“ (52, 27) zu unterwerfen. Vielmehr er-
sinnen diese Philosophen dann allerlei Ausflüchte, etwa „»unmittelbare Ge-
wissheiten4“ (53, 4f.), um sich moralisch schadlos zu halten. „Misstrauen“ (53,
9), so außermoralisch es anmutet, wird zur Waffe gegen das landläufige Philo-
sophieren - ja die „Pflicht zum Misstrauen“ (53, 16) wird dem „Philo-
sophien]“ (53, 13) hinter die Ohren geschrieben, offenbar einem Philosophen,
es nahelegt, ist die Kontrafaktur jener berühmten Beschreibung der Belger zu
Beginn von Caesars De bello Gallico. Deren Quintessenz ist, dass Kunst und
Kommerz effeminierten, entmännlichten („horum omnium fortissimi sunt Bel-
gae, propterea quod a cultu atque humanitate provinciae longissime absunt
minimeque ad eos mercatores saepe commeant atque ea, quae ad effeminan-
dos animos pertinent, important“. Gaius lulius Caesar: Commentarii de bello
Gallico 11, 3. „Von ihnen sind die Belger die stärksten, da sie sich vom Kult und
der Humanität der Provinz am weitesten entfernt halten und kaum Kontakt mit
fremden Kaufleuten halten, die bei ihnen deshalb auch keine Waren einführen,
welche zur Verweiblichung der Geister beitragen“). Vgl. zu Letzterem NK ÜK
JGB 248.
34.
JGB 34 setzt ein mit einer globalen Lagebeurteilung „der Philosophie“ „heute“
(52, 16), für die - ganz gleichgültig, welchen Standpunkt sie sonst einnimmt -
die „Irrthümlichkeit der Welt“ als „das Sicherste und Festeste“ (52, 17-
19) erscheint. Bereits die Begriffswahl, die auf Descartes’ fundamentum incon-
cussum, das unerschütterlich sichere Fundament aller Erkenntnis, nämlich das
ego cogito, das denkende und dadurch daseinsgewisse Ich anspielt (Rene Des-
cartes: Meditationes de prima philosophia II 3), gibt den Rahmen vor, in dem
sich die neuzeitliche Philosophie bewege, nämlich den cartesianischen Rah-
men. Das gelte selbst und gerade dann, wenn die Philosophie in N.s Gegenwart
die (Selbst-)Gewissheiten Descartes’ verabschiedet hat: Sie bleibe befangen im
Bedürfnis nach etwas felsenfest Sicherem - und sei dieses Sichere auch die
fundamentale Unsicherheit. Die Wendung „Irrthümlichkeit der Welt“ ist frei-
lich unterbestimmt (alternativ heißt es 52, 23 „Falschheit der Welt“): Meint
sie, dass die Annahme einer (Außen-)Welt bereits ein Irrtum ist, oder dass es
irrtümlich ist, zu glauben, wir könnten die Welt erkennen wie sie ist? Der Fort-
gang des Gedankens zeigt die Philosophen jedenfalls auf der Suche nach dem,
was dieser Irrtümlichkeit zugrunde liegt, wobei sie dann bald auf das Denken
als möglichen Täuscher verfallen - auch hier wirkt, mit dem ,„ Geist“4 (52, 22)
deutlich markiert, die cartesische Angst nach, von einem genius malignus ge-
täuscht zu werden (vgl. Meditationes I) -, ohne dann freilich konsequent genug
dieses Denken selbst dem „Misstrauen“ (52, 27) zu unterwerfen. Vielmehr er-
sinnen diese Philosophen dann allerlei Ausflüchte, etwa „»unmittelbare Ge-
wissheiten4“ (53, 4f.), um sich moralisch schadlos zu halten. „Misstrauen“ (53,
9), so außermoralisch es anmutet, wird zur Waffe gegen das landläufige Philo-
sophieren - ja die „Pflicht zum Misstrauen“ (53, 16) wird dem „Philo-
sophien]“ (53, 13) hinter die Ohren geschrieben, offenbar einem Philosophen,