Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0304
License: Free access  - all rights reserved
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
284 Jenseits von Gut und Böse

gegenüber den »demokratischen Instinkten4 der »Physiker4 und ihrer »pöbel-
männische[n] Feindschaft gegen alles Bevorrechtete und Selbstherrliche4 einer
»entgegengesetzten Absicht4 [...] entspringt, und wenn er den »Willen zur Macht4
alternativen Bestimmungen des Lebensbegriffs wie Spinozas »Selbsterhal-
tungstrieb4 oder Schopenhauers »Willen zum Dasein4 entgegensetzt, sollte dies
wohl ebenfalls nicht als normativ neutrale, rein theoretisch motivierte Innova-
tionsbemühung verstanden werden: Während Schopenhauer seine Deutung
des Lebens als »Wille zum Dasein4 zu dessen moralischer Verneinung führt, soll
die Bestimmung desselben als »Wille zur Macht4 ein Ideal der Steigerung, Stär-
ke und Bejahung fördern. Vom Aufgriff des Willensbegriffs und der »Wille zu...4-
Formel über die von Schopenhauerianismen durchsetzte Darstellung im 36.
Aphorismus lässt sich der »Wille zur Macht4 als Gegenlehre, als normativ moti-
viertes Alternativprogramm zu Schopenhauers Willenskonzeption lesen.44 (Del-
linger 2013a, 88 f.» vgl. auch Dellinger 2012b.) Womöglich taugt für das in JGB
36 vorgeführte Experiment im Raum des Fiktionalen der Begriff der ,Gegenleh-
re4 auch nur bedingt - nämlich unter der Bedingung, dass man anerkennt,
dass »Gegenlehre4 nicht Ersatz für andere Lehren sein soll, sondern ein Instru-
ment, Lehren zu neutralisieren.
In der Parenthese 55, 26-29 zum ,,Problem[.] der Zeugung und Ernährung“
meint Moore 1998, 541 eine Anspielung auf Rolph 1884, 122-129 erkennen zu
können. Greifbare textliche Übereinstimmung gibt es da allerdings nicht. Zum
Problem der Ernährung vgl. auch Sommer 2012 f.
55, 32 f. die Welt auf ihren „intelligiblen Charakter“ hin bestimmt] Die Entgegen-
setzung von „empirischem“ und „intelligiblem Charakter“ geht auf Kants Kritik
der reinen Vernunft zurück, wonach der Mensch einerseits - als „empirischer
Charakter“ - den Außenwelteinflüssen unterliegt und damit nicht frei ist, hin-
gegen - als „intelligibler Charakter“ - frei und und seiner eigenen praktischen
Vernunft unterworfen ist (AA III, 566 f.). NL 1886/87, KSA 12, 7[4], 268, 12-21
nimmt ausdrücklich auf diese Kantische Bestimmung Bezug, präziser: auf die
Ausführung in Kants Schrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Ver-
nunft, und fügt an: „der ganze Schopenhauer“ (KSA 12, 268, 22). Hier
handelt es sich, einschließlich des Hinweises auf Schopenhauer, um ein weit-
gehend wörtliches Exzerpt aus Kuno Fischers Kant-Darstellung in seiner Ge-
schichte der neuern Philosophie, wobei genaue textliche Übereinstimmungen
darauf hindeuten, dass sich N. nicht der dritten Auflage von 1882 (Fischer 1882,
4, 311 f.), sondern der zweiten Auflage von 1869 bedient hat (Fischer 1869, 4,
421-423): Dort heißt es im Unterschied zur späteren Auflage beispielsweise wie
bei N., der „empirische Charakter“ müsse „in seiner Wurzel eine Umkehr erfah-
ren“ (ebd., 422). Tatsächlich nahm Schopenhauer in seinem Hauptwerk Kants
Terminologie auf: „Was, durch die nothwendige Entwickelung in der Zeit und
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften