Stellenkommentar JGB 38, KSA 5, S. 56 287
zu verschaffen sucht, und zwar durch die radikale Aufwertung des Tabuisier-
ten, durch „Vergottung des Teufels“ (KGWIX 2, N VII2,170, 8-10, vgl. NL 1885/
86, KSA 12, 1[4], 11, 14 f.). Andernorts findet sich das Motiv moralisch zuge-
spitzt, wobei Optionen offengelassen werden, die potentielle Retter Gottes freu-
en: „die Widerlegung Gottes, eigentlich ist nur der moral. Gott widerlegt.“
(NL 1885, KSA 11, 39[13], 624, 5f., entspricht KGW IX 2, N VII 2, 184, 12-14.)
All die Erläuterungen im Nachlass, wie denn die Widerlegung Gottes (nämlich
wesentlich als Widerlegung der Moral) bei gleichzeitiger Nicht-Widerlegung
des Teufels (nämlich als Ermächtigung zu einer immoralistischen Art des Phi-
losophierens) zu verstehen sei, entfallen in JGB 37. Stattdessen entsteht durch
den jetzt hergestellten Anschluss an das Willen-zur-Macht-Denkexperiment
von JGB 36 ein neuer Kontext. Zielt die angeblich „populär[e]“ Rede, Gott sei
widerlegt, der Teufel aber nicht, darauf, dass man die Hypothese, alles sei Wil-
le zur Macht als diabolisch unter Verdacht zu stellen habe - womöglich als
Versuchung, als Widerlegung bisheriger Moral? Oder soll mit dieser Rede da-
rauf aufmerksam gemacht werden, dass scheinbar theoretische Erkenntnisse
stets auch von Wertvorstellung, von Moral imprägniert sind (vgl. Dellinger
2013b, 176, der überdies auf MA IIVM 5, KSA 2, 382 f. als durchaus irritierenden
Kotext zu JGB 36 u. 37 aufmerksam macht)? Im Unterschied zu den Nachlass-
Aufzeichnungen ist die „populäre“ Rede hier in zitierende Anführungszeichen
gesetzt, in einen Kurzdialog eingebettet und damit distanziert - erst recht
durch die darauf außerhalb der Anführung stehende Erwiderung: „Im Gegen-
theil! Im Gegentheil, meine Freunde!“ (56, 3f.) Was aber bedeutet nun das „Ge-
gentheil“? Womöglich, dass Gott nicht widerlegt ist? Darauf scheint Leo
Strauss abzuzwecken, wenn er zu JGB 37 anmerkt: „The doctrine of the will to
power - the whole doctrine of Beyond Good and Evil - is in a männer a vindica-
tion of God.“ (Strauss 1983, 178) Strauss bewegt sich damit am Abgrund der
Versuchung, an den bekanntlich früher einmal schon ein anderer hingelotst
worden ist (Matthäus 4, 8-10). Oder bedeutet das „Gegentheil“, dass sowohl
Gott als auch der Teufel, sowohl die alte Moral als auch die Erwartung einer
neuen widerlegt sind, weil sich mit dem alten Gott auch sein Widerpart erledigt
hat? Wie immer man die Stelle deutet: Ihre Uneindeutigkeit wirkt versuche-
risch und destabilisiert jene Sicherheiten, die manch glaubensdurstig-ober-
flächlicher Leser aus JGB 36 meinte schöpfen zu können. Zur Interpretation
siehe auch Figl 1982, 53-55; Hödl 2009, 513 f., Fn. 1112.
38.
56, 7-18 Wie es zuletzt noch, in aller Helligkeit der neueren Zeiten, mit der fran-
zösischen Revolution gegangen ist, jener schauerlichen und, aus der Nähe beur-
zu verschaffen sucht, und zwar durch die radikale Aufwertung des Tabuisier-
ten, durch „Vergottung des Teufels“ (KGWIX 2, N VII2,170, 8-10, vgl. NL 1885/
86, KSA 12, 1[4], 11, 14 f.). Andernorts findet sich das Motiv moralisch zuge-
spitzt, wobei Optionen offengelassen werden, die potentielle Retter Gottes freu-
en: „die Widerlegung Gottes, eigentlich ist nur der moral. Gott widerlegt.“
(NL 1885, KSA 11, 39[13], 624, 5f., entspricht KGW IX 2, N VII 2, 184, 12-14.)
All die Erläuterungen im Nachlass, wie denn die Widerlegung Gottes (nämlich
wesentlich als Widerlegung der Moral) bei gleichzeitiger Nicht-Widerlegung
des Teufels (nämlich als Ermächtigung zu einer immoralistischen Art des Phi-
losophierens) zu verstehen sei, entfallen in JGB 37. Stattdessen entsteht durch
den jetzt hergestellten Anschluss an das Willen-zur-Macht-Denkexperiment
von JGB 36 ein neuer Kontext. Zielt die angeblich „populär[e]“ Rede, Gott sei
widerlegt, der Teufel aber nicht, darauf, dass man die Hypothese, alles sei Wil-
le zur Macht als diabolisch unter Verdacht zu stellen habe - womöglich als
Versuchung, als Widerlegung bisheriger Moral? Oder soll mit dieser Rede da-
rauf aufmerksam gemacht werden, dass scheinbar theoretische Erkenntnisse
stets auch von Wertvorstellung, von Moral imprägniert sind (vgl. Dellinger
2013b, 176, der überdies auf MA IIVM 5, KSA 2, 382 f. als durchaus irritierenden
Kotext zu JGB 36 u. 37 aufmerksam macht)? Im Unterschied zu den Nachlass-
Aufzeichnungen ist die „populäre“ Rede hier in zitierende Anführungszeichen
gesetzt, in einen Kurzdialog eingebettet und damit distanziert - erst recht
durch die darauf außerhalb der Anführung stehende Erwiderung: „Im Gegen-
theil! Im Gegentheil, meine Freunde!“ (56, 3f.) Was aber bedeutet nun das „Ge-
gentheil“? Womöglich, dass Gott nicht widerlegt ist? Darauf scheint Leo
Strauss abzuzwecken, wenn er zu JGB 37 anmerkt: „The doctrine of the will to
power - the whole doctrine of Beyond Good and Evil - is in a männer a vindica-
tion of God.“ (Strauss 1983, 178) Strauss bewegt sich damit am Abgrund der
Versuchung, an den bekanntlich früher einmal schon ein anderer hingelotst
worden ist (Matthäus 4, 8-10). Oder bedeutet das „Gegentheil“, dass sowohl
Gott als auch der Teufel, sowohl die alte Moral als auch die Erwartung einer
neuen widerlegt sind, weil sich mit dem alten Gott auch sein Widerpart erledigt
hat? Wie immer man die Stelle deutet: Ihre Uneindeutigkeit wirkt versuche-
risch und destabilisiert jene Sicherheiten, die manch glaubensdurstig-ober-
flächlicher Leser aus JGB 36 meinte schöpfen zu können. Zur Interpretation
siehe auch Figl 1982, 53-55; Hödl 2009, 513 f., Fn. 1112.
38.
56, 7-18 Wie es zuletzt noch, in aller Helligkeit der neueren Zeiten, mit der fran-
zösischen Revolution gegangen ist, jener schauerlichen und, aus der Nähe beur-