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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0527
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Stellenkommentar JGB 188, KSA 5, S. 108 507

Rand: „Geschichte: Die Höhe des Menschen auf dem Weg über Zwang“ (Nietz-
sche 1923, 116).
108, 2-6 Jede Moral ist, im Gegensatz zum laisser aller, ein Stück Tyrannei ge-
gen die „Natur“, auch gegen die „Vernunft“: das ist aber noch kein Einwand
gegen sie, man müsste denn selbst schon wieder von irgend einer Moral aus de-
kretiren, dass alle Art Tyrannei und Unvernunft unerlaubt sei.] In JGB 9 lautet
demgegenüber ein Argument gegen die Stoiker, die in JGB 188 (108, 8) auch
gleich genannt werden, dass sie zwar vorgäben, der „Natur“ zu gehorchen, in
Wahrheit jedoch diese „Natur“ tyrannisieren wollten - als Philosophen sind
sie also, und daran entzündet sich der Widerspruch in JGB 9, in einem funda-
mentalen Irrtum über sich selbst befangen (vgl. NK 22, 7-22). JGB 188 ergründet
nunmehr den Nutzen solcher tyrannischer Anwandlungen gegen die „Natur“,
nämlich mittels Disziplinierung und Kanalisierung natürlicher Regungen Ge-
horsam zu erzwingen und damit den Menschen zu formen und beispielsweise
zu höheren Kulturleistungen abzurichten: „Das Wesentliche und Unschätzbare
an jeder Moral ist, dass sie ein langer Zwang ist“ (108, 6 f.). Moral bedeute
Askese, Verzicht auf eine Fülle von Möglichkeiten, die die „Natur“ bietet. Das
liberale Prinzip des „laisser aller“, des „Gehen-Lassens“ war N. schon früh zu-
wider (vgl. NL 1873, KSA 7, 29[22], 634, vgl. zur ökonomischen Bedeutung Düh-
ring 1875b) und erweist sich in N.s letzten Werken als Gegenpol zu den darin
enthaltenen Züchtungsideen, vgl. NK KSA 6, 143, 23. In seiner ursprünglich
unter N.s Büchern erhaltenen Abhandlung Die Religion des Mitleidens polemi-
siert der Berufswagnerianer Hans von Wolzogen gegen den „echten und rech-
ten Windgedanken[.] vom laisser aller und laisser faire“ (Wolzogen 1882, 249,
vgl. auch Stöpel 1881, 167).
108, 8 Port-Royal] Vgl. NK 13, 11-16; NK 66, 22-26 u. NK 69, 26-28.
108, 8 Puritanerthum] Vgl. NK 80, 12-24.
108, 9-11 mag man sich des Zwangs erinnern, unter dem bisher jede Sprache es
zur Stärke und Freiheit gebracht, — des metrischen Zwangs, der Tyrannei von
Reim und Rhythmus] Bekanntlich sind schon die Ilias und die Odyssee dem
metrischen Zwang des Hexameters unterworfen. In NL 1878/79, KSA 8, 39[4],
576, 12f. wurde entsprechend notiert: „Metrischer Zwang. / Naturfehler
des Epos, der einzelnen Gattungen“, während die vorangehende Notiz Homer
„unter dem Zwange alter Technik“ stehen fand und bei den Griechen eine
„Lust am Zwange“ diagnostizierte (NL 1878/79, KSA 8, 39[3], 576, 9-11). Vgl.
auch FW 84, KSA 3, 440 sowie Günther 2008, 138.
108,11-18 Wie viel Noth haben sich in jedem Volke die Dichter und die Redner
gemacht! — einige Prosaschreiber von heute nicht ausgenommen, in deren Ohr
 
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