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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0570
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550 Jenseits von Gut und Böse

im zähen Widerstande gegen jeden Sonder-Anspruch, jedes Sonder-Recht und
Vorrecht (das heisst im letzten Grunde gegen jedes Recht: denn dann, wenn
Alle gleich sind, braucht Niemand mehr „Rechte“ — ); Eins im Misstrauen gegen
die strafende Gerechtigkeit (wie als ob sie eine Vergewaltigung am Schwächeren,
ein Unrecht an der nothwendigen Folge aller früheren Gesellschaft wäre — );
aber ebenso Eins in der Religion des Mitleidens, im Mitgefühl, soweit nur gefühlt,
gelebt, gelitten wird (bis hinab zum Thier, bis hinauf zu „Gott“: — die Ausschwei-
fung eines „Mitleidens mit Gott“ gehört in ein demokratisches Zeitalter — ); Eins
allesammt im Schrei und der Ungeduld des Mitleidens, im Todhass gegen das
Leiden überhaupt, in der fast weiblichen Unfähigkeit, Zuschauer dabei bleiben
zu können, leiden lassen zu können; Eins in der unfreiwilligen Verdüsterung
und Verzärtlichung, unter deren Bann Europa von einem neuen Buddhismus be-
droht scheint; Eins im Glauben an die Moral des gemeinsamen Mitleidens,
wie als ob sie die Moral an sich sei, als die Höhe, die erreichte Höhe des
Menschen, die alleinige Hoffnung der Zukunft, das Trostmittel der Gegenwärti-
gen, die grosse Ablösung aller Schuld von Ehedem: — Eins allesammt im Glauben
an die Gemeinschaft als die Erlöserin, an die Heerde also, an „sich“.....] Zum
Begriff der „demokratischen Bewegung“ siehe NK 182, 11-15. In W I 4 lautete
eine Vorarbeit zu diesem Passus: „ist die Fortsetzung der christlichen: daß aber
auch damit die Begierden und Träume des gleichen Instinkts nicht sattsam
befriedigt sind, beweisen die Reden und Zukunfts-Träume aller Socialisten:
man mache nur seine Ohren auf.“ (KSA 14, 360) In KGW IX 4, W I 6, 11, 24-38
hieß es vor N.s späteren Korrekturen: „ist die Fortsetzung der christlichen. Daß
aber auch damit die Begierden und Hoffnungen des genannten Instinctes nicht
sattsam befriedigt sind, beweist das Jammer-Geschrei aller Socialisten. Erst der
Socialismus ist die zu Ende gedachte Heerdenthier-Moral: nämlich der Satz
»gleiche Recht für Alle4 fortgeführt zu den Folgerungen »gleiche Ansprüche Al-
ler4 folglich »eine Heerde und kein Hirt4 folglich »Schaaf gleich Schaaf4, folglich
»Friede auf Erden4, folglich, alle Menschen ein Wohlgefallen aneinander4“. Die
letzten beiden Teilsätze verballhornen die den Hirten auf dem Felde verkünde-
ten Doxologia maior in Lukas 2, 14, vgl. MA II WS 350, KSA 2, 702, 27-31 sowie
NK 137, 10-15 u. NK 153, 31.
125, 2 macht die Erbschaft der christlichen] Im Druckmanuskript hieß es ur-
sprünglich (ähnlich) wie in W I 4 und W I 6 (vgl. NK 125, 1-126, 3): „ist die
Fortsetzung des Christenthums“ (KSA 14, 360).
125, 9-11 noch mehr zu den tölpelhaften Philosophastern und Bruderschafts-
Schwärmern, welche sich Socialisten nennen und die „freie Gesellschaft“ wollen]
Obwohl N. die Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels nie im Original
studiert hat, waren ihm sozialistische und kommunistische Denkweisen na-
 
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