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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0611
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Stellenkommentar JGB 210, KSA 5, S. 142-143 591

unter den von N. gelesenen Zeitgenossen beliebt, vgl. z. B. Teichmüller 1874,
III: „Die Geschichte der Philosophie bietet nicht bloss eine Orientirung über
den Gang der Entwicklung unserer Begriffe, sondern kann, da Philosophie nur
in Begriffen besteht, selbst als ein Feld der Beobachtung, eine Art von Experi-
ment und eine wichtige Controle der Forschung betrachtet werden.“
143, 7-12 Sie werden härter sein (und vielleicht nicht immer nur gegen sich),
als humane Menschen wünschen mögen, sie werden sich nicht mit der „Wahr-
heit“ einlassen, damit sie ihnen „gefalle“ oder sie „erhebe“ und „begeistere“: —
ihr Glaube wird vielmehr gering sein, dass gerade die Wahrheit solche Lust-
barkeiten für das Gefühl mit sich bringe.] In AC 50 wird die Kritik an der Vorstel-
lung, Wahrheit müsse Lust bereiten, in die „Psychologie des ,Glaubens“4 einge-
baut, und zwar, um den christlichen Glauben zu desavourien, vgl. NK KSA 6,
229, 31-230, 3, ferner NK KSA 6, 177, 24-28.
143,19-25 und wer ihnen bis in ihre geheimen Herzenskammern zu folgen wüss-
te, würde schwerlich dort die Absicht vorfinden, „christliche Gefühle“ mit dem
„antiken Geschmacke“ und etwa gar noch mit dem „modernen Parlamentaris-
mus“ zu versöhnen (wie dergleichen Versöhnlichkeit in unserm sehr unsicheren,
folglich sehr versöhnlichen Jahrhundert sogar bei Philosophen vorkommen soll)]
Wendet sich diese Stelle gegen die modernen Versuche, Unversöhnliches zu
versöhnen, argumentiert JGB 46, die Vorstellung von einem „Gott am Kreuze“
sei „für einen antiken Geschmack“, d. h. für einen antiken Heiden schauerlich-
superlativisch gewesen, vgl. NK 67, 3-7. Die hier in Anführungszeichen gesetz-
ten Wendungen lassen sich nicht als direkte Zitate verifizieren (in KGW IX
4, W I 6, 5, 28-32 fehlen die Anführungszeichen); vielmehr handelt es sich
um Schlagworte aus der zeitgenössischen Publizistik, wobei namentlich die
konservative Presse (einschließlich Hans von Wolzogen in den Bayreuther
Blättern 1880, 341) gegen den „modernen Parlamentarismus“ zu polemisie-
ren liebte, während ihr andererseits am Christentum und an seiner angebli-
chen Vereinbarkeit mit dem griechisch-römischen Erbe sehr gelegen war. N.s
Freund Franz Overbeck hat seit seiner Zwillingsschrift zu UB I DS, Ueber
die Christlichkeit unserer heutigen Theologie (1873), unermüdlich sowohl auf
die Unvereinbarkeit des echten, eschatologisch-asketischen Christentums mit
der modernen Welt als auch mit der pagan-antiken Weltbetrachtung auf-
merksam gemacht.
143, 30-144,1 Es scheint ihnen keine kleine Schmach, die der Philosophie ange-
than wird, wenn man dekretirt, wie es heute so gern geschieht: „Philosophie
selbst ist Kritik und kritische Wissenschaft — und gar nichts ausserdem!“ Mag
diese Werthschätzung der Philosophie sich des Beifalls aller Positivisten Frank-
 
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