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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0615
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Stellenkommentar JGB 211, KSA 5, S. 145 595

145,1 des Künstlerischen] Im Druckmanuskript hat N. danach gestrichen:
„(wohin auch Geschichte gehört -)“ (KSA 14, 364).
145, 7-14 Die eigentlichen Philosophen aber sind Befehlende
und Gesetzgeber: sie sagen „so soll es sein!“, sie bestimmen erst das Wo-
hin? und Wozu? des Menschen und verfügen dabei über die Vorarbeit aller philo-
sophischen Arbeiter, aller Überwältiger der Vergangenheit, — sie greifen mit
schöpferischer Hand nach der Zukunft, und Alles, was ist und war, wird ihnen
dabei zum Mittel, zum Werkzeug, zum Hammer.] Rückblickend schreibt N. in NL
1885, KSA 11, 38[13], 611 f., er habe sich früher darüber Sorgen gemacht, was
der Philosoph sei, bis er gelernt habe, „zwei unterschiedliche Arten von Philo-
sophen“ zu unterscheiden, „einmal solche, welche irgend einen großen That-
bestand von Werthschätzungen, das heißt ehemaligen Werthsetzungen und
Werthschöpfungen (logischen oder moralischen), festzuhalten haben, sodann
aber solche, welche selber Gesetzgeber von Werthschätzungen sind“ (KSA 11,
611, 24-29). Tatsächlich begegnet die Vorstellung vom Philosophen als Gesetz-
geber schon im Frühwerk explizit, so in UB III SE 3 und zwar ausdrücklich am
großen Beispiel Schopenhauers: „Denken wir uns das Auge des Philosophen
auf dem Dasein ruhend: er will dessen Werth neu festsetzen. Denn das ist die
eigenthümliche Arbeit aller grossen Denker gewesen, Gesetzgeber für Maass,
Münze und Gewicht der Dinge zu sein.“ (KSA 1, 360, 28-21) Kritisch auf Distanz
gebracht wird die Vorstellung unter der Überschrift „Die Tyrannen des
Geistes“ in MA I 261, KSA 2, 214-218, wo sich der Sprecher an den Herr-
schaftsansprüchen insbesondere antiker Philosophen psychologisch abarbei-
tet. Als exemplarische Inkarnation des philosophischen Gesetzgeberwillens
tritt dabei Platon auf (N. dürften Passagen wie Politeia VI11-15 vor Augen ge-
standen haben): „Plato war der fleischgewordene Wunsch, der höchste philo-
sophische Gesetzgeber und Staatengründer zu werden; er scheint schrecklich
an der Nichterfüllung seines Wesens gelitten zu haben, und seine Seele wurde
gegen sein Ende hin voll der schwärzesten Galle. Je mehr das griechische Phi-
losophenthum an Macht verlor, um so mehr litt es innerlich durch diese Gallig-
keit und Schmähsucht“ (KSA 2, 215, 25-31). Während MA I 261 kühl dekretiert,
die „Periode der Tyrannen des Geistes“ sei „vorbei“ (KSA 2, 217, 32 f.), und vor
allem die psychopathologischen Folgekosten solch unerfüllbarer tyrannischer
Prätentionen summiert, sind im Vorfeld von JGB derlei Bedenken verflogen:
Jetzt gehört Gesetzgebungskompetenz zu den unerlässlichen Kriterien im An-
forderungsprofil „eigentlicher“ Philosophen, vgl. z. B. NL 1885, KSA 11, 35[45],
531, 30-32 (KGW IX 4, W I 3, 85, 5-10) u. NL 1885, KSA 11, 35[47], 533, 20-23
(KGW IX 4, W I 3, 80, 7-10).
NL 1885, KSA 11, 38[13], 612f. bietet eine direkte Vorlage für JGB 211 und
macht keinerlei Anstalten mehr, die Gesetzgebungskompetenz eigentlicher
 
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