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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0720
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700 Jenseits von Gut und Böse

Das Herabtropfen als Merkmal schlechten Stils macht N. bereits in UB I DS
11, KSA 1, 222, 3-7 geltend: „Das Uebergewicht nämlich bei dem, was der Deut-
sche jetzt jeden Tag liest, liegt ohne Zweifel auf Seiten der Zeitungen nebst
dazu gehörigen Zeitschriften: deren Deutsch prägt sich, in dem unaufhörlichen
Tropfenfall gleicher Wendungen und gleicher Wörter, seinem Ohre ein“. Da-
rauf konnte NL 1885, KSA 11, 41[8], 682, 20f. (entspricht KGW IX 4, W I 5, 18.
36-38) nur antworten: „Den deutschen Bildungs-Zuständen habe ich in jungen
Jahren den Krieg erklärt und brav dabei meinen Degen geführt“. N. sah sich
auch in EH UB 1, KSA 6, 316, 4 f. als Denker, dem es „Vergnügen macht, den
Degen zu ziehn“; Biegsamkeit gehört zudem zum Profil des „vollkommenen
Lesers“, vgl. NK KSA 6, 303, 25-28.
247.
JGB 247 treibt die mit der Ohrenmetaphorik in JGB 246 bereits anklingende
Engführung von Sprachstil und Musik weiter, indem guter Stil im Rückgriff auf
eine normativ verstandene Antike an Hörbarkeit und Hörbarmachung gebun-
den wird. Vgl. Renzi 1997a, 343-349, der zur Erläuterung auf UB IV WB, auf UB
I DS, auf N.s Vorlesungen sowie auf FW 104 verweist.
190, 6-9 Der antike Mensch las, wenn er las — es geschah selten genug — sich
selbst etwas vor, und zwar mit lauter Stimme; man wunderte sich, wenn Jemand
leise las und fragte sich insgeheim nach Gründen.] Diese Verwunderung zeigte
der junge Augustinus, als er Bischof Ambrosius von Mailand still lesend fand
(„eum legentem vidimus tacite“) - und fragte sich nach den Gründen dieser
(für ihn) ungewohnten Praxis - ob Ambrosius damit nämlich störendem Da-
zwischenfragen habe vorbeugen wollen (Aurelius Augustinus: Confessiones VI
3). 1885 hat N. die Confessiones (wieder)gelesen, vgl. NK 12, 33 f.
190, 12-16 Damals waren die Gesetze des Schrift-Stils die selben, wie die des
Rede-Stils; und dessen Gesetze hiengen zum Theil von der erstaunlichen Ausbil-
dung, den raffinirten Bedürfnissen des Ohrs und Kehlkopfs ab, zum andern Theil
von der Stärke, Dauer und Macht der antiken Lunge.] Das Problem des Verhält-
nisses von Schriftlichkeit und Mündlichkeit bei den Griechen hat N., wie Renzi
1997a, 345 f. im Einzelnen belegt, bereits als Philologe intensiv beschäftigt:
„Die klass. Litt, der Griechen ist nicht mit Hinsicht auf den Leser entstan-
den: das ist ihr Eigenthümlichstes.“ (KGW II5, TJ1, 24 f.) Man habe, so N. weiter
in seiner Vorlesung Geschichte der griechischen Literatur (1875/76), die griechi-
schen Kunstwerke verkannt: „man löste sie vom speziellen Anlaß, speziellen
Publikum los u. nahm sie als ob sie für ein unbestimmtes Publik, verfaßt seien.
2. man trennte sie von den zugehörigen Künsten u. nahm sie als verfaßt für
 
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