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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0736
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716 Jenseits von Gut und Böse

Massen und die der Regierungen, insofern sie sich zum Organ der Bestrebun-
gen und Instincte der Massen machen. Dies gilt von den moralischen und ge-
sellschaftlichen Beziehungen des Privatlebens nicht weniger als vom öffentli-
chen Leben. [...] Allein es ist überall eine Masse, das heißt eine Gesammtmittel-
mäßigkeit. [...] Ihr Denken wird für sie von Männern besorgt, die sich von ihnen
nicht erheblich unterscheiden und die im Drang des Augenblickes durch die
Zeitungen zu ihnen oder in ihrem Namen sprechen. Ich führe über dies Alles
keine Klage. Ich behaupte nicht, daß etwas Besseres als allgemeine Regel mit
dem gegenwärtigen so niedrigen Zustande des menschlichen Geistes verträg-
lich ist. Allein dies kann nicht hindern, daß die Regierung der Mittelmäßigkeit
eine mittelmäßige Regierung ist. Die Herrschaft einer Demokratie oder einer
zahlreichen Aristokratie hat sich niemals in ihren Handlungen oder in den Mei-
nungen, Eigenschaften und der Geistesrichtung, die sie groß zog, über die Mit-
telmäßigkeit erhoben oder erheben können, so lange nicht Einer oder Wenige
durch höhere Bildung und Begabung einen solchen Einfluß auf die herrschen-
den Vielen zu gewinnen wußten, daß diese sich durch ihre Rathschläge leiten
ließen, was in den besten Zeiten solcher Gemeinwesen immer der Fall war.“
(Mill 1869-1886,1, 68. Von N. mit diversen Anstreichungen am Rand markiert.)
Abhilfe wäre gar nicht so schwer: „Gerade weil die Tyrannei der Meinung so
weit geht, daß jede Excentricität für tadelnswerth gilt, wäre eine reiche Fülle
excentrischer Menschen wünschenswerth, damit diese Tyrannei gebrochen
würde. Excentricität war stets dort im Ueberfluß zu finden, wo man Charakter-
stärke im Ueberfluß fand, und das Maß der Excentricität in einer Gesellschaft
stand in der Regel in geradem Verhältniß zu dem in ihr vorhandenen Maß
von Genie, geistiger Kraft und moralischem Muth. Daß heutzutage so wenige
Menschen es wagen, excentrisch zu sein, deutet auf die Richtung hin, in wel-
cher die Hauptgefahr für unser Zeitalter liegt.“ (Ebd., 1, 69. Von N. mit diversen
Anstreichungen am Rand markiert.) So folgt: „Die gegenwärtige Richtung der
öffentlichen Meinung zeigt einen charakteristischen Zug, der ganz besonders
geeignet ist, sie gegen jede einigermaßen entschiedene Aeußerung der Indivi-
dualität unduldsam zu machen. Die Menschen gehen ihrem großen Durch-
schnitt nach in ihren Neigungen eben so wenig wie in ihrer geistigen Begabung
über ein sehr bescheidenes Maß hinaus; sie haben keine Geschmacksrichtun-
gen oder Wünsche, die stark genug wären, sie zu ungewöhnlichen Handlungen
zu vermögen, und folglich verstehen sie auch die nicht, bei denen dies der Fall
ist“ (ebd., 71. Von N. mit Randstrichen markiert). JGB 253 hingegen holt in
der Denunziation der Engländer (bzw. Briten) einschließlich Mills als mediokre
Nation (in 196, 31 f.) schließlich zu einer Volte aus, die sich auf dem Terrain
bewegt, das diese Engländer, insbesondere Mill, vortrefflich zu bestellen pfleg-
ten, nämlich auf dem Terrain des Utilitarismus: Es wird der zeitweiligen Herr-
 
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