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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0744
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724 Jenseits von Gut und Böse

mique“ Carmen im Spätherbst 1881 kennengelernt, die für ihn fortan Inbegriff
einer südlich-mediterranen Musik- und Kulturform sein sollte. Im Fall Wagner
spielte N. Bizet mit seiner Carmen gegen Wagners nordische Schwere und De-
kadenz aus. Vgl. z. B. NK KSA 6, 11, 2-4 u. NK KSA 6, 13, 5 f.

255.
Seine mediterranen Präferenzen konkretisiert das sprechende Ich in JGB 255
an der Musik, für deren Südlichkeit eben (200, 18-21) Bizet in Anspruch ge-
nommen worden ist. Gegenüber Carl Fuchs wurde N. Mitte April 1886 noch
deutlicher, indem er neben Carmen die Werke seines allerdings ungenannt
bleibenden Adlaten Heinrich Köselitz alias Peter Gast stellte: „Das Letzte, was
ich mir gründlich angeeignet habe, ist Bizet’s Carmen, — und nicht ohne viele,
zum Theil ganz unerlaubte Hintergedanken über alle deutsche Musik (über
welche ich beinahe so urtheile wie über alle deutsche Philosophie); außerdem
die Musik eines unentdeckten Genies, welches den Süden liebt wie ich ihn
liebe und zur Naivetät des Südens das Bedürfniß und die Gabe der Melodie
hat.“ (KSB 7/KGB III/3, Nr. 688, S. 176, Z. 11-18) Die Südlichkeit ist, wie schon
zu Beginn des Achten Hauptstücks in JGB 240 Wagner vorgerechnet wird, gera-
de das, was der deutschen Musik abgehe (179, 25). JGB 255 stellt eine mögliche
Befreiung aus nordischen Banden, eine „überdeutsche[.] Musik“ (201, 4), eine
,,übereuropäische[.] Musik“ (201, 7) in Aussicht, die freilich erst etwas Gedach-
tes, noch nichts wirklich Erschaffenes ist (vgl. 201, 10 f.). In der Vorarbeit zu
JGB 255 in KGW IX 5, W I 8, 187 f. steht die in der Schlussfassung gänzlich
ausgeblendete, konfessionelle Differenz zwischen dem katholischen Süden
und dem protestantischen Norden mit ihrer kulturprägenden Bedeutung im
Vordergrund - Formulierungen, die schließlich in JGB 48 eingehen (vgl. NK
69,10-22 u. NK 200, 23-31). Zur Interpretation von JGB 255 siehe z. B. Riethmül-
ler 2004, Love 1977 u. Love 1981, 148-150, vgl. ferner NK KSA 6, 15, 2.
200, 23-31 Gegen die deutsche Musik halte ich mancherlei Vorsicht für geboten.
Gesetzt, dass Einer den Süden liebt, wie ich ihn liebe, als eine grosse Schule der
Genesung, im Geistigsten und Sinnlichsten, als eine unbändige Sonnenfülle und
Sonnen-Verklärung, welche sich über ein selbstherrliches, an sich glaubendes Da-
sein breitet: nun, ein Solcher wird sich etwas vor der deutschen Musik in Acht
nehmen lernen, weil sie, indem sie seinen Geschmack zurück verdirbt, ihm die
Gesundheit mit zurück verdirbt.] Die Eingangspassage stammt aus einem Manu-
skriptkontext, der eigentlich mit der religiösen Infektion der Musik und den
unterschiedlichen konfessionellen Milieus im Norden und Süden Europas be-
schäftigt ist. Diese Überlegungen sind wesentlich in JGB 48 eingegangen. „Man
 
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