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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0784
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764 Jenseits von Gut und Böse

haben dürfte), findet sich bei vielen damaligen Autoren und schien ohnehin
so etwas wie die Common-sense-Vorstellung von Erblichkeit darzustellen (vgl.
schon Goethe 1853-1858, 3, 137: „Vom Vater hab’ ich die Statur, / Des Lebens
ernstes Führen, / Von Mütterchen die Frohnatur / Und Lust zu fabuliren“). In
den unter N.s Büchern überlieferten Grundzügen der Psychologie von Frederik
Anton von Hartsen heißt es beispielsweise: „Bei allen höheren Thiergattungen
entsteht das Wesen nicht aus einem, sondern aus zwei Aeltern. Also, gesetzt
dass die Gesetze der Erblichkeit beständig regelmässig seien, so wird der Cha-
rakter des Kindes von der Beziehung zwischen dem Charakter des Vaters und
dem Charakter der Mutter abhängen.“ (Hartsen 1877, 121) Diese Auffassung
baut Hartsen dann weiter aus mit der Hypothese von beseelten Spermien: „Ist
es ja unverkennbar, dass ein Wesen von seinem Vater, ja von seinen Ureltern,
mancherlei Seelenzustände erben kann, so müssen wir wohl annehmen, dass
ein solcher Seelenzustand, wenigstens der Hauptsache nach, im Spermatozoid
jenes Wesens auf irgend eine Art vertreten war.“ (Ebd., 220, vgl. auch Spir 1877,
L 44).
219, 16 f. die Kunst, zu täuschen] Eine Kunst, die KGW IX 6, W II 1, 124, 32
wortwörtlich Wagner attestiert. In einer Fußnote seiner Gellius-Ausgabe (zu
Aulus Gellius: Noctes Atticae I 6, 4) konnte N. lesen: „Ammian. Marcell. lib.
XXX, 4 nennt Epicur die Gewerbs-Beredtsamkeit: Kaxorexvla d. h. Kunst zu täu-
schen oder kurzweg: schlechte Kunst.“ (Gellius 1875-1876,1, 33, Anm.) Zu Gel-
lius beim späten N. vgl. NK KSA 6, 57, 17.
219, 21-24 selbst ein solcher tugendhafter und treuherziger Esel würde nach
einiger Zeit zu jener furca des Horaz greifen lernen, um naturam expellere: mit
welchem Erfolge? „Pöbel“ usque recurret. —] Im Druckmanuskript hieß es ur-
sprünglich: „selbst ein solcher tugendhafter und treuherziger Esel würde nach
einiger Zeit zu jener furca des Horaz greifen lernen, um naturam expellere: was
aber die Formel für moderne Erziehung ist“ (KSA 14, 372). Das Zitat stammt
aus Horaz: Episteln I 10, 24: „Naturam expellas furca, tarnen usque recurret“,
„Treibst du die Natur auch mit der Mistgabel aus, kehrt sie dennoch zurück“.
Der Vers gehörte zum klassischen Bildungsgut, auf ihn konnte man ohne voll-
ständige Zitation anspielen, vgl. Carl von Gersdorffs Brief an N. von Mitte Juli
1866 (KGB I 3, Nr. 128, S. 121, Z. 6). Schopenhauer zitierte ihn beispielsweise
im Anhang zu seiner „Metaphysik der Geschlechtsliebe“ zwecks Beglaubigung
der „beharrlichen Unausrottbarkeit“ der „Päderastie“ (gemeint ist die Homose-
xualität) und glossierte: „Dieser Folgerung können wir daher uns schlechter-
dings nicht ent-/646/ziehen, wenn wir redlich verfahren wollen“ (Schopenhau-
er 1873-1874, 3, 645 f., vgl. ebd., 5, 484).
 
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