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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0805
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Stellenkommentar JGB 282, KSA 5, S. 230 785

selbst haben.“ (Teichmüller 1882, 320, vgl. NK 30, 2-10.) Zum destruktiven Cha-
rakter der Selbsterkenntnis vgl. auch den N. wohl geläufigen Spruch von Chris-
toph Lehmann (vgl. NK 229, 23-25): „Wüßt’ ein Mensch recht, wer er wär’, / Er
würde fröhlich nimmermehr“ (Lehmann 1879, 43).
230, 9 f. contradictio in adjecto] Lateinisch eigentlich: „Widerspruch in der Bei-
fügung“, logischer Terminus zur Kennzeichnung eines inneren begrifflichen
Widerspruchs.
230,11-13 Es muss eine Art Widerwillen in mir geben, etwas Bestimmtes über
mich zu glauben.] Dieser Wille zum Unbestimmten gerade dort, wo es ums
Eigene geht, scheint freilich der eingangs des Abschnitts behaupteten Ten-
denz, „schlecht“ über sich zu denken, zu widerstreiten, denn gerade diese
Selbstmissachtung verrät ja ein bestimmtes, festes Selbstbild. Der Widerwille
gegen ein bestimmtes Selbstbild reproduziert nicht nur auf der individualethi-
schen Ebene des Selbstumgangs die in JGB wiederholt erhobene Forderung,
sich auf das Unbestimmte und Ungewisse einzulassen, sondern indiziert, wie
sehr sich das in JGB 281 sprechende Ich bereits verwandelt hat: Es zeigt sich
selbst als noch nicht festgestelltes Tier, das sich auch nicht feststellen kann
und mag.

282.
JGB 282 beginnt mit einem durch Anführungszeichen ausgewiesenen Wort-
wechsel zweier Sprecher. Der Hauptteil dieses Abschnitts ist jedoch ein Kom-
mentar vermutlich eines Dritten zu diesem Kurzdialog, und zwar zu der Person,
die von sich sagt, ihr seien „die Harpyien über den Tisch geflogen“ (230,19 f.) -
einer „hohen wählerischen Seele“ (230, 25 f.), die ihre Fassung angesichts des-
sen verliert, was ihr in der als laut und plebejisch empfundenen Gegenwart
geboten wird, und was ihr unverdaulich vorkommt (mit Metaphern kulinari-
schen Ekels operierte auch Flaubert, seinen nihilistischen Lebensüberdruss er-
klärend, vgl. Bourget 1883,138). Gibt dieser Kommentar der dritten Person nun
im Unterschied zur dialogischen Figurenrede N.s Position wieder? Zur dialogi-
schen Perspektivierungstechnik in JGB 282 vgl. Born/Pichler 2013, 34.
230,19 f. vielleicht sind mir die Harpyien über den Tisch geflogen] Die geflügel-
ten, Sturmwinde personifizierenden Harpyien sind schauerliche vogelmensch-
liche Mischwesen aus der griechischen Mythologie. Das Bild von den über den
Tisch fliegenden Harpyien spielt auf die Geschichte des blinden Sehers Phi-
neus an. In der unter N.s Büchern erhaltenen, von Christian Gottlob Moser
besorgten Übersetzung von Apollodors Bibliothek lautet die fragliche Passage:
 
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