6z
MARTIN BUCERS FRÜHSCHRIFTEN
Coloß. iii. [4]
i. Ioan. iii.° [2]
D 1 a
Ps. xxxiii. [34, 10]
Rom. viii. [32]
Matt. vii. [16-19]
selig100 seind101, wiewol das noch in der hoffnung ist und würt gäntz-
lich entpfangen das ewig erb gottes, so wir mit Christo erschynen
werden in der herrlicheit gottes und gott gleich sein. Dann als wenig,
als ein frummer, getreüwer vatter seinen lieben kinden mangel lassen
mag, wo in seinem vermögen ist ym zu helffen, also vil weniger mag 5
uns der ewig | vatter mangel leiden lassen102. der uns dann basß103 will,
dann einicher104 vater seinem sun vermag, und weisß auch alle ding.
Darum gewißlich wor ist, das der prophet saget: Nichs godt ab denen,
die gott fürchten, welche seind allein die lieben gotteskinder durch
den glauben. 10
Nun ist unser natur also gehefft und gesacht an das gut103, das sye
alweg ir vor sicht, das sye genug überkumm und mitnichten kan
freywillig sein, andern zu helffen, ir sey dann zuvor geholffen. So mag
ir aber nit geholffen werden oder sye genug gewynnen, es sey dann,
das sye also glaub, sye sey ein kind und erb gottes, des sye hye und in 15
zukünfftigem genug habe und haben werd. Darumb so der wor glaub
do ist, ist das hertz ersettigt, erkennt und ist gewisß, das im nüt bresten106
mag. Dann es dencket wie Paulus: Hat gott seinem eygen sun nit ver-
schonet, sonder hat yn für uns alle dahyn geben, wie solt er uns mit im nit alles
schencken ? Das ist, hat er uns das aller liebst und gröst sein eingebornen, 20
aller liebsten sun und den in tod für uns geben, was sünd solt er uns
dann nit verzyhen? und was guts möcht er uns Vorhalten? Die liebe
ist zu groß. Deßhalb wie durch den glauben das gemüt diß also erkennt
und haltet, also würd es von stund an durchgossen mit der liebe und
gantz bereiter müglicheit107, allen menschen auch guts zu bewysen und 25
vor allem sye zu solcher seligen ersetigung durch verkündigung diser
unußsprechbchen gütigkeit gottes zu fürdern und bringen. Dann die
natur des woren guten sich bey im selb nit gehalten mag, sonder
musß sich, als weit es kan, ußgiessen108. und vermag kein guter baum
on frucht und gute frucht sein109. 30
o) Joan. iii.
100. Vgl. Einleitung, Anm. 12.
101. ... wir dürfen uns nicht anders einschätzen, als daß wir bereits selig sind ...
102. Vgl. Mt 7,11. 103. Besser. 104. Irgendein.
105. Strohl übersetzt: »... notre nature est a tel point attachee et asservie aux biens
terrestres ...«
106. Nichts fehlen.
107. Mit völliger Bereitwilligkeit.
108. Vgl. die Formulierung von Dionys: »... bonum est diffusivum sui« (vgl.
Einleitung, Anm. 9).
109. B. erwartet mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie Luther, daß der
Glaube auch gute Werke bringen muß (vgl. auch unten, Anlage 6, den Abschnitt
über die guten Werke, S. 316-320). Obschon er die Fähigkeit und Bereitschaft zur
MARTIN BUCERS FRÜHSCHRIFTEN
Coloß. iii. [4]
i. Ioan. iii.° [2]
D 1 a
Ps. xxxiii. [34, 10]
Rom. viii. [32]
Matt. vii. [16-19]
selig100 seind101, wiewol das noch in der hoffnung ist und würt gäntz-
lich entpfangen das ewig erb gottes, so wir mit Christo erschynen
werden in der herrlicheit gottes und gott gleich sein. Dann als wenig,
als ein frummer, getreüwer vatter seinen lieben kinden mangel lassen
mag, wo in seinem vermögen ist ym zu helffen, also vil weniger mag 5
uns der ewig | vatter mangel leiden lassen102. der uns dann basß103 will,
dann einicher104 vater seinem sun vermag, und weisß auch alle ding.
Darum gewißlich wor ist, das der prophet saget: Nichs godt ab denen,
die gott fürchten, welche seind allein die lieben gotteskinder durch
den glauben. 10
Nun ist unser natur also gehefft und gesacht an das gut103, das sye
alweg ir vor sicht, das sye genug überkumm und mitnichten kan
freywillig sein, andern zu helffen, ir sey dann zuvor geholffen. So mag
ir aber nit geholffen werden oder sye genug gewynnen, es sey dann,
das sye also glaub, sye sey ein kind und erb gottes, des sye hye und in 15
zukünfftigem genug habe und haben werd. Darumb so der wor glaub
do ist, ist das hertz ersettigt, erkennt und ist gewisß, das im nüt bresten106
mag. Dann es dencket wie Paulus: Hat gott seinem eygen sun nit ver-
schonet, sonder hat yn für uns alle dahyn geben, wie solt er uns mit im nit alles
schencken ? Das ist, hat er uns das aller liebst und gröst sein eingebornen, 20
aller liebsten sun und den in tod für uns geben, was sünd solt er uns
dann nit verzyhen? und was guts möcht er uns Vorhalten? Die liebe
ist zu groß. Deßhalb wie durch den glauben das gemüt diß also erkennt
und haltet, also würd es von stund an durchgossen mit der liebe und
gantz bereiter müglicheit107, allen menschen auch guts zu bewysen und 25
vor allem sye zu solcher seligen ersetigung durch verkündigung diser
unußsprechbchen gütigkeit gottes zu fürdern und bringen. Dann die
natur des woren guten sich bey im selb nit gehalten mag, sonder
musß sich, als weit es kan, ußgiessen108. und vermag kein guter baum
on frucht und gute frucht sein109. 30
o) Joan. iii.
100. Vgl. Einleitung, Anm. 12.
101. ... wir dürfen uns nicht anders einschätzen, als daß wir bereits selig sind ...
102. Vgl. Mt 7,11. 103. Besser. 104. Irgendein.
105. Strohl übersetzt: »... notre nature est a tel point attachee et asservie aux biens
terrestres ...«
106. Nichts fehlen.
107. Mit völliger Bereitwilligkeit.
108. Vgl. die Formulierung von Dionys: »... bonum est diffusivum sui« (vgl.
Einleitung, Anm. 9).
109. B. erwartet mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie Luther, daß der
Glaube auch gute Werke bringen muß (vgl. auch unten, Anlage 6, den Abschnitt
über die guten Werke, S. 316-320). Obschon er die Fähigkeit und Bereitschaft zur