Nr.14
Anklageschrift gegen Ulrich Kegel
Formula accusandi incorrigibilem canonicum
vor dem 6. Dezember 1545
bearbeitet von Stephen E. Buckwalter
Einleitung
1. Entstehung und Inhalt
Für die Ermittlung der historischen Umstände der folgenden Anklageschrift Bucers,
die von der Forschung bisher nicht zur Kenntnis genommen wurde, sind wir
fast völlig auf die zwar knappen, aber umso wertvolleren Angaben Gustav Knods
zum Stiftsherrn Ulrich Kegel ¹ angewiesen: Knods Auflistung der am 6. Juni 1544
einsetzenden und zunehmend schärfer werdenden Disziplinarmaßnahmen gegen
diesen Kanoniker bis zu dessen Amtsenthebung am 23. Dezember 1545 ² erlaubt es,
den wahrscheinlichen Abfassungszeitraum dieser Schrift grob abzustecken. Ein
präziserer terminus ante quem ergibt sich aus der Tatsache, daß Bucer am 6. Dezember
zum Regensburger Religionsgespräch aufbrach und erst am 5. April 1546 nach
Straßburg zurückkehrte ³ . Obwohl Bucer die ›Formula accusandi‹ in der ersten
Person verfaßte, kann er sie nur als eine von einem anderen kirchlichen Amtsträger
einzureichende Anklage intendiert haben, denn sie ist ausdrücklich auch an den Dekan
des Thomasstifts adressiert – ein Amt, das Bucer selbst seit dem 31. März 1544
bekleidete ⁴ . Möglicherweise hatte Bucer – dem Selbstverständnis der ›Forma obligationis
canonicae ⁵ treu – einen Scholarchen als hypothetischen Ankläger vor Augen,
als er den Text abfaßte. In jedem Fall legt diese Schrift Zeugnis von dem Bemühen
Bucers ab, in seinem unmittelbaren Einflußbereich schonungslos gegen
pflichtvergessene Kleriker vorzugehen. Nicht zuletzt bietet sie einen, wenn auch
flüchtigen, Einblick in die Sozialgeschichte der Straßburger Stiftsgeistlichkeit im
dritten Jahrzehnt der Reformation.
1. Zu ihm vgl. unten S.385, Anm.3.
2. Vgl. Knod, Stiftsherren, S.47.
3. Vgl. Rott, Liste alphabétique, S.100; Greschat, Bucer, S.235 f. (= 1.Aufl. S. 215f.).
4. Knod, Stiftsherren, S. 29; Gäumann, Reich Christi, S. 110. Denkbar ist natürlich auch, daß Bucer
die ›Formula‹ vor der Übernahme des Dekanats verfaßte; dagegen spricht die Tatsache, daß eine
hier erwähnte Strafmaßnahme gegen Kegel (Verlust der Präsenzgelder) nach Informationen von
Knod, Stiftsherren, S. 47, erst am 4. April 1545 verhängt wurde, nachdem Bucer bereits über ein Jahr
Dekan war. Auch Jean Rott schlägt in seinem maschinenschriftlichen Verzeichnis der Bestände des
Thomasarchivs die Datierung »1545 début déc.« vor.
5. Vgl. oben Nr.5, S.173–179.
Anklageschrift gegen Ulrich Kegel
Formula accusandi incorrigibilem canonicum
vor dem 6. Dezember 1545
bearbeitet von Stephen E. Buckwalter
Einleitung
1. Entstehung und Inhalt
Für die Ermittlung der historischen Umstände der folgenden Anklageschrift Bucers,
die von der Forschung bisher nicht zur Kenntnis genommen wurde, sind wir
fast völlig auf die zwar knappen, aber umso wertvolleren Angaben Gustav Knods
zum Stiftsherrn Ulrich Kegel ¹ angewiesen: Knods Auflistung der am 6. Juni 1544
einsetzenden und zunehmend schärfer werdenden Disziplinarmaßnahmen gegen
diesen Kanoniker bis zu dessen Amtsenthebung am 23. Dezember 1545 ² erlaubt es,
den wahrscheinlichen Abfassungszeitraum dieser Schrift grob abzustecken. Ein
präziserer terminus ante quem ergibt sich aus der Tatsache, daß Bucer am 6. Dezember
zum Regensburger Religionsgespräch aufbrach und erst am 5. April 1546 nach
Straßburg zurückkehrte ³ . Obwohl Bucer die ›Formula accusandi‹ in der ersten
Person verfaßte, kann er sie nur als eine von einem anderen kirchlichen Amtsträger
einzureichende Anklage intendiert haben, denn sie ist ausdrücklich auch an den Dekan
des Thomasstifts adressiert – ein Amt, das Bucer selbst seit dem 31. März 1544
bekleidete ⁴ . Möglicherweise hatte Bucer – dem Selbstverständnis der ›Forma obligationis
canonicae ⁵ treu – einen Scholarchen als hypothetischen Ankläger vor Augen,
als er den Text abfaßte. In jedem Fall legt diese Schrift Zeugnis von dem Bemühen
Bucers ab, in seinem unmittelbaren Einflußbereich schonungslos gegen
pflichtvergessene Kleriker vorzugehen. Nicht zuletzt bietet sie einen, wenn auch
flüchtigen, Einblick in die Sozialgeschichte der Straßburger Stiftsgeistlichkeit im
dritten Jahrzehnt der Reformation.
1. Zu ihm vgl. unten S.385, Anm.3.
2. Vgl. Knod, Stiftsherren, S.47.
3. Vgl. Rott, Liste alphabétique, S.100; Greschat, Bucer, S.235 f. (= 1.Aufl. S. 215f.).
4. Knod, Stiftsherren, S. 29; Gäumann, Reich Christi, S. 110. Denkbar ist natürlich auch, daß Bucer
die ›Formula‹ vor der Übernahme des Dekanats verfaßte; dagegen spricht die Tatsache, daß eine
hier erwähnte Strafmaßnahme gegen Kegel (Verlust der Präsenzgelder) nach Informationen von
Knod, Stiftsherren, S. 47, erst am 4. April 1545 verhängt wurde, nachdem Bucer bereits über ein Jahr
Dekan war. Auch Jean Rott schlägt in seinem maschinenschriftlichen Verzeichnis der Bestände des
Thomasarchivs die Datierung »1545 début déc.« vor.
5. Vgl. oben Nr.5, S.173–179.