Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2023
— 2023(2024)
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- Titelblatt
- 5-10 Inhaltsverzeichnis
-
11-194
A. Das akademische Jahr
-
11-43
I. Jahresfeier am 24. Juni 2023
- 11-12 Begrüßung durch den Präsidenten Bernd Schneidmüller
- 13-17 "Politik braucht Wissenschaft". Grußwort der Ministerin Petra Olschowsk
- 18-21 Grußwort von Christoph Markschies, Präsident der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften
- 22-27 „Von Demut und vom Zweifeln in der Wissenschaft“. Bericht des Präsidenten
- 28-29 Kurzbericht der Sprecherin des WIN-Kollegs Katharina Jacob
- 30-42 Festvortrag von Matthias Kind: „Energieversorgung im Zeichen des Klimawandels“
- 43 Verleihung der Preise
-
44-110
II. Wissenschaftliche Vorträge
- 111-194 III. Veranstaltungen
-
11-43
I. Jahresfeier am 24. Juni 2023
- 195-246 B. Die Mitglieder
- 247-368 C. Die Forschungsvorhaben
-
369-430
D. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
-
369-383
I. Preise der Akademie
- 384 II. Die Junge Akademie|HAdW
-
385-413
III. Das WIN-Kolleg der Jungen Akademie|HAdW
- 386 Verzeichnis der WIN-Kollegiatinnen und -Kollegiaten des 7. Teilprogramms
- 387 Verzeichnis der WIN-Kollegiatinnen und -Kollegiaten des 8. Teilprogramms
- 388-392 Tag der interdisziplinären Wissenschaftskommunikation
- 393-403 Siebter Forschungsschwerpunkt. „Wie entscheiden Kollektive?“
- 404-413 Achter Forschungsschwerpunkt. „Stabilität und Instabilität von Zuständen – Schlüssel zum Verständnis von Umbrüchen, Wendepunkten und Übergangsphasen“
- 414-421 IV. Das Akademie-Kolleg der Jungen Akademie | HAdW
- 422-430 V. WIN-Konferenzen der Jungen Akademie | HAdW
-
369-383
I. Preise der Akademie
- 431-452 E. Anhang
Festvortrag von Josef Isensee
Josef Isensee
1. Verstehen
Der Prozess setzt ein mit dem Verstehen des Textes. „Verstehen heißt, dasjenige,
was ein anderer ausgesprochen hat, aus sich selber entwickeln", so Goethe.2 Ge-
genstand ist hier nicht der Text an sich, sondern der Text, wie er sich dem Leser
nach Maßgabe seiner Aufnahmefähigkeit und seines Erkenntnisinteresses darstellt,
der Text also als transzendentaler Gegenstand im Sinne Kants. Ein jeder rezipiert
den Text auf seine Weise. Im mittelalterlichen Latein heißt das: „receptum in re-
cipiente per modum recipientis."3 Kantianische Rede bei Thomas von Aquin!
Die Hermeneutik stößt schon in ihrem ersten Schritt auf den Widerstand
erkenntniskritischer Theorien, die im Text weiter nichts als ein Gemenge sinn-
loser Zeichen erkennen wollen und die Möglichkeit eines Verstehens leugnen.
Der sokratische Buchstaben-Agnostizismus kehrt zurück. Doch die praktische
Hermeneutik verliert sich nicht in Selbstzweifeln, und sie hält sich nicht auf in
der Analyse ihrer erkenntnis- und sprachtheoretischen Prämissen. Sie vertraut auf
2 Goethe, Brief vom 25.9.1820 an C.F.A. von Conta, in: ders., Sämtliche Werke, Abteilung II:
Briefe, Tagebücher und Gespräche (hg. von Karl Eibl), Bd. 9, 1999, S. 107ff
3 Thomas, Summa theologiae, p. I, q. LXXV
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Josef Isensee
1. Verstehen
Der Prozess setzt ein mit dem Verstehen des Textes. „Verstehen heißt, dasjenige,
was ein anderer ausgesprochen hat, aus sich selber entwickeln", so Goethe.2 Ge-
genstand ist hier nicht der Text an sich, sondern der Text, wie er sich dem Leser
nach Maßgabe seiner Aufnahmefähigkeit und seines Erkenntnisinteresses darstellt,
der Text also als transzendentaler Gegenstand im Sinne Kants. Ein jeder rezipiert
den Text auf seine Weise. Im mittelalterlichen Latein heißt das: „receptum in re-
cipiente per modum recipientis."3 Kantianische Rede bei Thomas von Aquin!
Die Hermeneutik stößt schon in ihrem ersten Schritt auf den Widerstand
erkenntniskritischer Theorien, die im Text weiter nichts als ein Gemenge sinn-
loser Zeichen erkennen wollen und die Möglichkeit eines Verstehens leugnen.
Der sokratische Buchstaben-Agnostizismus kehrt zurück. Doch die praktische
Hermeneutik verliert sich nicht in Selbstzweifeln, und sie hält sich nicht auf in
der Analyse ihrer erkenntnis- und sprachtheoretischen Prämissen. Sie vertraut auf
2 Goethe, Brief vom 25.9.1820 an C.F.A. von Conta, in: ders., Sämtliche Werke, Abteilung II:
Briefe, Tagebücher und Gespräche (hg. von Karl Eibl), Bd. 9, 1999, S. 107ff
3 Thomas, Summa theologiae, p. I, q. LXXV
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