C. Die Forschungsvorhaben
nungen und die Androhung von Strafe bis zur Veiwünschung und Verfluchung im
archaisierenden Sprachgestus.
Der Facettenreichtum der Goethe'schen Sprache erweist sich im Neben-
einander von fachsprachlichen Termini, altertümlichem bzw. altertümelndem
Wortgebrauch (z. B. von wannen, wannenhero, Wehtag), bildhaften Übertragungen,
okkasionellen Wortprägungen und Neuschöpfungen. Vielfach zeigt sich in seinen
Texten der Einfluss der Bibelsprache: Heulen und Zähnklappen (!) nach Matth. 8,12,
auch variiert als Zähnklapp- und Grausen, das Bild des Baumes, dem die Axt an die
Wurzel gelegt und der somit dem Untergang geweiht ist (nach Luk. 3,9) oder der
Vergleich einer wankelmütigen Person mit einem Rohr, das vom Wind hin und her ge-
weht wird (nach Matth. 11,7), sind nur wenige Beispiele hierfür. Ähnlich prägender
Einfluss auf Goethes Sprache geht von der antiken Mythologie aus: Die Metapher
des Zankapfels, der Wechselweg der Dioskuren und der Vergleich des Lasters mit der
Hydra, dem siebengehäupteten Wurm, dem Herkules den Garaus machte, sind nur
mit Kenntnis ihres mythologischen Hintergrunds zu verstehen.
Durch ihre reiche Phraseologie zeichnet sich insbesondere Goethes Verwen-
dung von Wörtern aus, die Alltagsphänomene bezeichnen. Einige der Redensarten
und Sprichwörter sind heute noch in der Umgangssprache geläufig (es weht ein
anderer Wind, jemandem die Würmer aus der Nase ziehen, die Zähne zeigen, jemandem
auf den Zahn fühlen) oder zumindest noch verständlich (die Wurst nach der Speckseite
werfen; bei Zeit auf die Zäune, so trocknen die Windeln). Bei anderen fällt auf, dass ihre
Veiwendung seit der Goethezeit einem Wandel unterliegt: Im Unterschied zum
heutigen Deutsch werden bei Goethe Gelegenheiten, gar manche Lust und sogar Ide-
en für modische Accessoires vom Zaune gebrochen; eine weitere Gruppe von idio-
matischen Ausdrücken ist (leider) nicht mehr gebräuchlich und für den heutigen
Leser erklärungsbedürftig: Wer sich mit einem Sachverhalt auskennt und deshalb
angemessen handeln kann, weiß, wo die Zäume hängen; wer einen Zahn auf jemand
anderen hat, ist ihm bestimmt nicht wohlgesonnen; jemandem die Würmer schneiden
spielt an auf die Vorstellung des Narrenschneidens als radikaler Kur von Narrheit.
Ein jeder hat seinen Wurm verleiht dagegen der Erkenntnis Ausdruck, dass wir alle
mit Marotten und Macken ausgestattet sind; anstelle von Wurst wider Wurst sagt
man heute: eine Hand wäscht die andere; den Weinstock mit Würsten binden ist die
Übersetzung einer italienischen Redewendung und führt mit einer Reminiszenz
an den Menschheitstraum vom Schlaraffenland das Bild eines Lebens in Überfluss
und Üppigkeit vor Augen.
Nicht immer problemlos zu erläutern, aber stets vergnüglich zu lesen sind
Goethes okkasionelle Fügungen und Wortschöpfungen: die bilder- und wappenstür-
mende Wut der Französischen Revolution, die verwinkelten Befestigungsanlagen
der Stadt Luxemburg, die als Zangen- und Krakelwerk beschrieben werden, Zahnent-
bindung für das schmerzhafte Zahnen der Enkelin Alma oder der Seufzer im Brief
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nungen und die Androhung von Strafe bis zur Veiwünschung und Verfluchung im
archaisierenden Sprachgestus.
Der Facettenreichtum der Goethe'schen Sprache erweist sich im Neben-
einander von fachsprachlichen Termini, altertümlichem bzw. altertümelndem
Wortgebrauch (z. B. von wannen, wannenhero, Wehtag), bildhaften Übertragungen,
okkasionellen Wortprägungen und Neuschöpfungen. Vielfach zeigt sich in seinen
Texten der Einfluss der Bibelsprache: Heulen und Zähnklappen (!) nach Matth. 8,12,
auch variiert als Zähnklapp- und Grausen, das Bild des Baumes, dem die Axt an die
Wurzel gelegt und der somit dem Untergang geweiht ist (nach Luk. 3,9) oder der
Vergleich einer wankelmütigen Person mit einem Rohr, das vom Wind hin und her ge-
weht wird (nach Matth. 11,7), sind nur wenige Beispiele hierfür. Ähnlich prägender
Einfluss auf Goethes Sprache geht von der antiken Mythologie aus: Die Metapher
des Zankapfels, der Wechselweg der Dioskuren und der Vergleich des Lasters mit der
Hydra, dem siebengehäupteten Wurm, dem Herkules den Garaus machte, sind nur
mit Kenntnis ihres mythologischen Hintergrunds zu verstehen.
Durch ihre reiche Phraseologie zeichnet sich insbesondere Goethes Verwen-
dung von Wörtern aus, die Alltagsphänomene bezeichnen. Einige der Redensarten
und Sprichwörter sind heute noch in der Umgangssprache geläufig (es weht ein
anderer Wind, jemandem die Würmer aus der Nase ziehen, die Zähne zeigen, jemandem
auf den Zahn fühlen) oder zumindest noch verständlich (die Wurst nach der Speckseite
werfen; bei Zeit auf die Zäune, so trocknen die Windeln). Bei anderen fällt auf, dass ihre
Veiwendung seit der Goethezeit einem Wandel unterliegt: Im Unterschied zum
heutigen Deutsch werden bei Goethe Gelegenheiten, gar manche Lust und sogar Ide-
en für modische Accessoires vom Zaune gebrochen; eine weitere Gruppe von idio-
matischen Ausdrücken ist (leider) nicht mehr gebräuchlich und für den heutigen
Leser erklärungsbedürftig: Wer sich mit einem Sachverhalt auskennt und deshalb
angemessen handeln kann, weiß, wo die Zäume hängen; wer einen Zahn auf jemand
anderen hat, ist ihm bestimmt nicht wohlgesonnen; jemandem die Würmer schneiden
spielt an auf die Vorstellung des Narrenschneidens als radikaler Kur von Narrheit.
Ein jeder hat seinen Wurm verleiht dagegen der Erkenntnis Ausdruck, dass wir alle
mit Marotten und Macken ausgestattet sind; anstelle von Wurst wider Wurst sagt
man heute: eine Hand wäscht die andere; den Weinstock mit Würsten binden ist die
Übersetzung einer italienischen Redewendung und führt mit einer Reminiszenz
an den Menschheitstraum vom Schlaraffenland das Bild eines Lebens in Überfluss
und Üppigkeit vor Augen.
Nicht immer problemlos zu erläutern, aber stets vergnüglich zu lesen sind
Goethes okkasionelle Fügungen und Wortschöpfungen: die bilder- und wappenstür-
mende Wut der Französischen Revolution, die verwinkelten Befestigungsanlagen
der Stadt Luxemburg, die als Zangen- und Krakelwerk beschrieben werden, Zahnent-
bindung für das schmerzhafte Zahnen der Enkelin Alma oder der Seufzer im Brief
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