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Kreative Impulse. Innovations- und Transferleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa <Veranstaltung, 2019, Heidelberg>; Burkhardt, Julia [Hrsg.]
Kreative Impulse und Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa — Klöster als Innovationslabore, Band 9: Regensburg: Schnell + Steiner, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.72131#0033
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32 I Julia Becker und Julia Burkhardt

durch die Kompilation der Concordia discordantium canonum durch den Bolo-
gneser Rechtsgelehrten Gratian ffca. 1150) perfektioniert. Doch auch Gratian
speiste wiederum in vielen Fällen sein Wissen aus anderen zeitgenössischen Ka-
nonessammlungen, vor allem aus der Collectio canonum Anselms von Lucca.74
Das innovative Potential an Gerhochs erster großer Reformschrift mag daher
weniger im ideellen Bereich, als vielmehr in der methodischen Konzeption sei-
nes Werks liegen. Durch den großen Anteil an zeitgenössischen kanonistischen
Rechtssammlungen, mit deren Hilfe er versuchte, seine Forderungen zu kom-
mentieren, durchzusetzen und „wissenschaftlich" zu belegen, trug er nicht nur
zur Verfügbarmachung und thematischen Systematisierung von Wissen bei,
sondern lag damit auch im aktuellen Trend seiner Zeit.
Zweifellos wirkte Gerhoch mit seinen Reformschriften im Zentrum der
päpstlichen Reformdebatten des 12. Jahrhunderts. Aber gelangte seine innovatio
auch tatsächlich bis zur diffusio? Der Blick auf die magere handschriftliche Ver-
breitung seiner Schriften lässt die Betrachter zunächst skeptisch zurück.75 Aber:
„Eine kreative Leistung ist eine beobachtete, bewertete und mit anderen vergli-
chene Leistung. Ihre Bedeutung ... hängt aber nicht ab von der Zahl derer, die
sie anerkennen."76 Erneut stellt sich also die Frage, inwieweit Innovationsleis-
tungen vom jeweiligen Wirkungsfeld bedingt wurden und worin der Anteil ein-
zelner Akteure bestand.
Von dieser Frage ausgehend haben sich die Autorinnen und Autoren dieser
Sektion mit Religiösen als Ratgeber, Dienstleister oder Gestalter sowie mit ih-
rer Verantwortung für die mittelalterliche Gesellschaft befasst. Vanina Kopp
behandelt die Impulskraft von Mönchen und Klerikern, die als Ratgeber am
Hof der französischen Könige Karl V. und Karl VI. tätig waren. Sie untersucht,
in welcher Weise die königlichen Berater auf die brennenden politischen Fragen
der Zeit reagierten und wie sie Anregungen für die politische Praxis entwickel-
ten. Daran schließt der Beitrag von Vaclav Zurek unmittelbar an, auch wenn er

1972-1974, Bd. 2, S. 509-562. S. zur Systematisierung des kanonischen Rechts in Kürze auch
die Studie zu Burchard von Worms: Birgit Kynast, Tradition und Innovation im kirchlichen
Recht. Das Bußbuch im Dekret des Bischofs Burchard von Worms (Quellen und Forschun-
gen zum Recht im Mittelalter 10), Ostfildern 2020.
74 Vgl. Peter Landau, Gratians unmittelbare Quellen für seine Pseudoisidortexte, in: Fort-
schritt durch Fälschungen? Ursprung, Gestalt und Wirkungen der pseudoisidorischen Fäl-
schungen, Beiträge zum gleichnamigen Symposium an der Universität Tübingen vom 27. und
28. Juli 2001, hg. von Wilfried HARTMANN/Gerhard Schmitz (MGH Studien und Texte,
Bd. 31), Hannover 2002, S. 161-190, hier S. 170-173; Fuhrmann, Einfluß und Verbreitung
(wie Anm. 73), Bd. 2, S. 563-585.
75 Classen, Gerhoch von Reichersberg (wie Anm. 67), S. 313.
76 Brodbeck, Entscheidung (wie Anm. 14), S. 30.
 
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