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Kreative Impulse. Innovations- und Transferleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa <Veranstaltung, 2019, Heidelberg>; Burkhardt, Julia [Editor]
Kreative Impulse und Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa — Klöster als Innovationslabore, Band 9: Regensburg: Schnell + Steiner, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.72131#0379
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378 I Vanina Kopp

ist, dass die politische, religiöse und soziale Verunsicherung nach Jahrzehnten
eines Ermüdungskampfes mit England, dem andauernden Schisma und den inter-
nen Querelen im französischen Königshaus (die schließlich in einen Bürgerkrieg
mündete), eine ganze Reihe an sehr verschiedenen Ratgeberinnen und Ratgebern
auf den Plan rief, die aus ihrer Warte heraus die Notwendigkeit und ihre Chance
sahen, sich an die Herrschenden zu wenden - sei es um konkrete Handlungsan-
weisungen zu geben, propagandistisch diese oder jene Politik zu unterstützen,
moralisch einzuwirken, oder alles zusammen. Sie brachten somit innovative Im-
pulse im Inhalt, aber auch in ihrer Form und in ihrem Selbstverständnis mit: Un-
ter diesen zumeist selbsternannten Ratgeberinnen und Ratgebern waren nicht nur
Religiose, um die es zu Beginn dieses Beitrages gehen soll, sondern ich möchte im
zweiten Teil des Artikels auch auf eine Reihe anderer, klerikaler sowie laikaler
Ratgeberinnen und Ratgeber eingehen, und darauf, weshalb sie möglicherweise
den Religiösen die Exklusivität und Alleinstellung abliefen.
Forschungsüberblick
Zuerst ein paar theoretische Überlegungen. Frühere Ansätze untersuchten die
Rat gebenden Werke und häufigen Übersetzungen aus dem Lateinischen ins
Französische unter dem Prisma der Sprachverschiebung, leicht ahistorisch da-
von ausgehend, es handle sich um ein gesteuertes kulturelles Programm,12 mit
dem insbesondere Karl V. das Französische als Staatssprache etablieren und das
Lateinische verdrängen wolle (150 Jahre vor dem Renaissance-König Franz I.,
der tatsächlich das Französische als Landessprache in Justiz und Verwaltung
durchsetzte).13 Dies übersieht, dass die meisten Kleriker aus dem universitären

12 Frangoise Autrand, La culture d'un roi: livres et amis de Charles V, in: Perspectives medie-
vales 21 (1995), S. 99-106; Marie-Helene Tesniere, Livres et pouvoir royal au XlVe siecle: la
librairie du Louvre, in: Matthias Corvin, les bibliotheques princieres et la genese de l'etat
moderne, hg. von Jean-Francois Maillard, Budapest 2009, S. 251-264. Dieselbe unkritische
Ansicht eines „sapientia project" vertritt auch Deborah McGrady, The writer's gift or the
patron's pleasure? The literary economy in late medieval France, Toronto 2019, S. 29-87.

13 Karl V. wird dabei ins Rampenlicht eines intellektuellen Königs gestellt, der das „Sprachpro-
gramm" gesteuert haben solle. Für eine kritische Auseinandersetzung mit einer Historisie-
rung vgl. Kopp, Der König und die Bücher (wie Anm. 10), S. 257-326; für die zeitgenössische
und spätere unkritische Rezeption vgl. Vanina Kopp, Konstruktion, Rezeption, Narration.
Karl V. von Frankreich und die Louvrebibliothek im Zerrspiegel ihres Nachlebens, in: Fran-
cia 43 (2016), S. 63-86. Zur Entwicklung der Vernakularsprachen in Verwaltung und Justiz
vgl. Serge Lusignan, La langue des rois au Moyen Age. Le francais en France et en Angle-
terre, Paris 2004; Ardis Butterfield, The familiar enemy: Chaucer, language, and nation in
the Hundred Years War, Oxford 2009.
 
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