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Kreative Impulse. Innovations- und Transferleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa <Veranstaltung, 2019, Heidelberg>; Burkhardt, Julia [Editor]
Kreative Impulse und Innovationsleistungen religiöser Gemeinschaften im mittelalterlichen Europa — Klöster als Innovationslabore, Band 9: Regensburg: Schnell + Steiner, 2021

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https://doi.org/10.11588/diglit.72131#0421
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420 I Eva Schlotheuber

monastische Lebensform erwies sich eben als offen für beide ambivalente Wis-
sensformen und hielt die damit verbundenen Spannungen aus. Vor allem aber
autorisierte der konkurrierende Bildungsbegriff auch Illiterate oder nicht im
klassischen Bildungssystem Beheimatete zum Reden im öffentlichen Raum.19
Auf dieser Basis errangen beispielsweise Franziskus von Assisi (1182-1226) oder
Mystikerinnen wie Margarete Porete (1250-1310) oder Christine Ebner (1277-
1356) große gesellschaftliche Wirkmacht, aber auch Grenzgänger wie Meister
Eckhart oder Bernhard von Clairvaux (1090-1153), die eben die inhärente Span-
nung beider Zugangsweisen inspirierte - wenn auch jeweils in ganz unterschied-
licher Weise.20 Die konkrete theologische Ausformung dieses Wissens- (oder
Gottes-)zugangs, der in der besonderen Lebensführung wurzelte, war in der mo-
nastischen Regel individuell gefasst. Er bot sich aber - jenseits der Gabe göttli-
cher Offenbarung oder Heiligkeit, die als Autorisierung mit der ,Sprechautorität'
einhergehen konnte, aber nicht musste - als Bildungsbegriff für diejenigen in be-
sonderer Weise an, die von der an Lateinschulen und Universitäten vermittelten
gelehrten Bildung ausgeschlossenen blieben, also für geistliche Frauen, für Ein-
siedler und gesellschaftliche ,Aussteiger' bzw. ,Spätberufene'. Die Nonnen rekur-
rierten unabhängig von der Ordenszugehörigkeit regelmäßig auf diesen Bildungs-
begriff,indemsiedieeigene,Unbildung'alslegitimierendeErkenntnisvoraussetzung
betonen, ohne dass damit wie bei Hildegard von Bingen (1098-1179) etwas über
die realen Bildungsvoraussetzungen der oder des Betreffenden gesagt war.21 Inte-
ressanterweise ging mit diesem konkurrierenden Bildungsbegriff auch eine an-
dere Wissensordnung einher, die sich an der Liturgie orientierte.22 Beide, der
Gestalten. Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt, hg. von Gert MELVILLE/Bernd
SCHNEIDMÜLLER/Stefan Weinfurter (Klöster als Innovationslabore. Studien und Texte 1),
Regensburg 2014, S. 209-252.
19 Vgl. Ulrich Köpf, Meister Eckhart und Bernhard von Clairvaux. Zwei Typen mittelalterli-
cher Theologie, in: Meister-Eckhart-Jahrbuch 1 (2007), S. 27-43, hier S. 39.
20 Christel Meier, Von der ,Privatoffenbarung' zur öffentlichen Lehrbefugnis. Legitimations-
stufen des Prophetentums bei Rupert von Deutz, Hildegard von Bingen und Elisabeth von
Schönau, in: Das Öffentliche und Private in der Vormoderne, hg. von Gert MELVILLE/Peter
VON Moos (Norm und Struktur 10), Köln/Weimar/Wien 1998, S. 97-123; sowie Christel
Meier, Autorschaft im 12. Jahrhundert, in: Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und
Identifikation in der vormodernen Gesellschaft, hg. von Peter von Moos (Norm und Struk-
tur 23), Köln/Weimar/Wien 2004, S. 207-266.
21 Eva Schlotheuber, Doctrina privata und doctrina publica - Überlegungen zu den mittel-
alterlichen Frauenklöstern als Wissens- und Bildungsraum, in: Die Wirkmacht klösterlichen
Lebens im Mittelalter. Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte, hg. von Mirko
BREITENSTEIN/Gert Melville (Klöster als Innovationslabore. Studien und Texte 6), Re-
gensburg 2020, S. 33-51.
22 Jeffrey Hamburger u.a., Liturgical Life and Latin Learning at Paradies bei Soest. 1300-
1425. Inscription and Illumination in the Choir Books of a North German Dominican Con-
vent, Bd. 1, Münster 2017, S. 43- 89, bes. S. 88-89.
 
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