428 I Eva Schlotheuber
ermöglichten.42 Diese grundlegende Unternehmung entstand - wie so vieles -
aus einer Konfliktsituation, weil in Bedas Heimat Northumbria der alexandri-
nisch-römische Osterzyklus und die in Irland und England geübte Praxis der
Berechnung des Osterdatums aufeinandertrafen. Beda schuf insbesondere mit
seinen Schriften De temporibns und De tempornm ratione ein kohärentes Sys-
tem der Zeiterfassung und -berechnung und setzte die bis heute maßgebliche,
auf Christi Geburt bezogene Zeitrechnung durch.43 Dadurch erst etablierte sich
eigentlich ein Regionen übergreifender gemeinsamer, religiös konnotierter sozi-
aler ,Zeit-Raum', in dem man sich ganz konkret verständigen konnte.44 Der um-
fassende und durchaus selbstbewusste Anspruch Bedas, die Grenzen der Zeit
auszumessen, wird auch darin deutlich, dass er konkret den 18. März 3952 vor
Chr. als Anbeginn der Welt festsetze.45
Frank Rexroth resümiert in seinem jüngst erschienenen Band „Fröhliche
Scholastik", dass der Beitrag der monastischen Welt des frühen Mittelalters zur
Tradierung und Bereicherung der gelehrten Schriftkultur gar nicht hoch genug
eingeschätzt werden kann und er sich nicht in der Rezeption erschöpfte. „Im
Gegenteil erreichte die Beschäftigung der klösterlichen Skriptorien mit den vor-
gefunden Texten eine solche Intensität, dass die monastische Kultur auch in Re-
gionen produktiv und innovativ sein musste, in denen man dies auf den ersten
Blick nicht vermuten würde."46 Das war der Nährboden für herausragende Per-
sönlichkeiten wie Anselm von Canterbury (1033-1109), der die Denk-Grenzen
des Wissens seiner Zeit in ganz anderer Weise als Beda auslotete. Anselm war
nicht zuletzt ein begnadeter Lehrer, der im gemeinsamen Diskurs mit den Schü-
lern die rationale Durchdringung des Glaubens vorantrieb. In seinem 1078 voll-
endeten Werk Proslogion, das er „Glaube, der nach Einsicht sucht" (fides quae-
rens intellectual) nannte, entwickelte er seinen ontologischen Gottesbeweis,
nämlich dass Gott das sei, „worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden
kann" (aliquid quo maius nihil cogitari potest). Anselms Gottesbeweis ist bis
heute ein Meilenstein und gehört zu den am intensivsten diskutierten Argumen-
42 Immo Warntjes, Irische Komputistik zwischen Isidor von Sevilla und Beda Venerabilis.
Ursprung, karolingische Rezeption und generelle Forschungsperspektiven, in: Viator Multi-
lingual 42 (2011) S. 1-32; Arno Borst, Schriften zur Komputistik im Frankenreich von 721
bis 818, 3 Bde. (MGH - Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 21), Hannover 2006.
43 Bede, De temporum ratione, in: Bedae Venerabilis Opera Didascailca, hg. von Charles W.
Jones (CCCSL 123B), Turnhout 1977, S. 263-544. Bede, De temporibus, in: Bedae Venerabi-
lis Opera Didascailca, hg. von Charles W. Jones (CCCSL 123C), Turnhout 1980, S. 585-611.
44 Norbert Elias, Über die Zeit. Arbeiten zur Wissenssoziologie II, Frankfurt am Main 1984.
45 Arno Borst, Computus. Zeit und Zahl in der Geschichte Europas (Wagenbachs Taschenbü-
cherei 492), Berlin 32004, S. 45.
46 Rexroth, Fröhliche Scholastik (wie Anm. 17), S, 51.
ermöglichten.42 Diese grundlegende Unternehmung entstand - wie so vieles -
aus einer Konfliktsituation, weil in Bedas Heimat Northumbria der alexandri-
nisch-römische Osterzyklus und die in Irland und England geübte Praxis der
Berechnung des Osterdatums aufeinandertrafen. Beda schuf insbesondere mit
seinen Schriften De temporibns und De tempornm ratione ein kohärentes Sys-
tem der Zeiterfassung und -berechnung und setzte die bis heute maßgebliche,
auf Christi Geburt bezogene Zeitrechnung durch.43 Dadurch erst etablierte sich
eigentlich ein Regionen übergreifender gemeinsamer, religiös konnotierter sozi-
aler ,Zeit-Raum', in dem man sich ganz konkret verständigen konnte.44 Der um-
fassende und durchaus selbstbewusste Anspruch Bedas, die Grenzen der Zeit
auszumessen, wird auch darin deutlich, dass er konkret den 18. März 3952 vor
Chr. als Anbeginn der Welt festsetze.45
Frank Rexroth resümiert in seinem jüngst erschienenen Band „Fröhliche
Scholastik", dass der Beitrag der monastischen Welt des frühen Mittelalters zur
Tradierung und Bereicherung der gelehrten Schriftkultur gar nicht hoch genug
eingeschätzt werden kann und er sich nicht in der Rezeption erschöpfte. „Im
Gegenteil erreichte die Beschäftigung der klösterlichen Skriptorien mit den vor-
gefunden Texten eine solche Intensität, dass die monastische Kultur auch in Re-
gionen produktiv und innovativ sein musste, in denen man dies auf den ersten
Blick nicht vermuten würde."46 Das war der Nährboden für herausragende Per-
sönlichkeiten wie Anselm von Canterbury (1033-1109), der die Denk-Grenzen
des Wissens seiner Zeit in ganz anderer Weise als Beda auslotete. Anselm war
nicht zuletzt ein begnadeter Lehrer, der im gemeinsamen Diskurs mit den Schü-
lern die rationale Durchdringung des Glaubens vorantrieb. In seinem 1078 voll-
endeten Werk Proslogion, das er „Glaube, der nach Einsicht sucht" (fides quae-
rens intellectual) nannte, entwickelte er seinen ontologischen Gottesbeweis,
nämlich dass Gott das sei, „worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden
kann" (aliquid quo maius nihil cogitari potest). Anselms Gottesbeweis ist bis
heute ein Meilenstein und gehört zu den am intensivsten diskutierten Argumen-
42 Immo Warntjes, Irische Komputistik zwischen Isidor von Sevilla und Beda Venerabilis.
Ursprung, karolingische Rezeption und generelle Forschungsperspektiven, in: Viator Multi-
lingual 42 (2011) S. 1-32; Arno Borst, Schriften zur Komputistik im Frankenreich von 721
bis 818, 3 Bde. (MGH - Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 21), Hannover 2006.
43 Bede, De temporum ratione, in: Bedae Venerabilis Opera Didascailca, hg. von Charles W.
Jones (CCCSL 123B), Turnhout 1977, S. 263-544. Bede, De temporibus, in: Bedae Venerabi-
lis Opera Didascailca, hg. von Charles W. Jones (CCCSL 123C), Turnhout 1980, S. 585-611.
44 Norbert Elias, Über die Zeit. Arbeiten zur Wissenssoziologie II, Frankfurt am Main 1984.
45 Arno Borst, Computus. Zeit und Zahl in der Geschichte Europas (Wagenbachs Taschenbü-
cherei 492), Berlin 32004, S. 45.
46 Rexroth, Fröhliche Scholastik (wie Anm. 17), S, 51.