Metadaten

Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0034
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
8 David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller

In den heftigen Kontroversen, die Strauß’ Schrift Der alte und der neue
Glaube auslöste, prolongierten sich die Auseinandersetzungen, die Jahrzehnte
zuvor bereits sein für die zeitgenössische Theologie geradezu revolutionäres
Buch Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet (1835) evoziert hatte. In diesem Werk
stellt Strauß dem Christus des Glaubens und der kirchlichen Tradition den his-
torischen Jesus gegenüber. Die Konfrontation zwischen orthodox-dogmatisch
eingestellten Theologen und ihren liberal gesonnenen, aufklärerisch argumen-
tierenden Gegnern sowie Kritikern von unterschiedlicher Couleur, die sich be-
reits an Strauß’ Leben Jesu entzündet hatte, gewann nach der Publikation sei-
nes Alterswerks Der alte und der neue Glaube erneut Aktualität. An diese längst
virulente Debatte schloss N. mit seinem Pamphlet UB I DS an. Zum Pro und
Contra in der Auseinandersetzung um David Friedrich Strauß, die auch im Zu-
sammenhang mit N.s UB I DS eine Vielzahl von Rezensionen zur Folge hatte,
vgl. die umfangreiche Dokumentation von Hauke Reich 2013, 275-456.
Für N.s Attacke auf David Friedrich Strauß gab es aber noch weitere Grün-
de als das oben bereits genannte Motiv. Den Initialimpuls gab Richard Wagner,
indem er N. in der zweiten Aprilwoche 1873 auf Strauß’ Schrift Der alte und
der neue Glaube. Ein Bekenntniß hinwies. Der Komponist selbst war in dieser
Angelegenheit keineswegs unvoreingenommen: Im Jahre 1868 hatte sich Wag-
ner nämlich in eine private Fehde mit Strauß verstrickt. Denn dieser hatte in
einem kulturpolitischen Konflikt zwischen Richard Wagner und dem Münche-
ner Hofkapellmeister Franz Lachner die Partei Lachners ergriffen, der fast drei
Jahrzehnte lang das Musikleben Münchens dominierte und sich über seine
Funktion als Hofkapellmeister hinaus auch selbst als Komponist betätigte; da-
bei fühlte er sich der klassischen Tradition im Übergang von Schubert zu
Bruckner verpflichtet. Aufgrund der unterschiedlichen musikästhetischen Prä-
ferenzen erschienen Rivalitäten zwischen Lachner und Wagner, der als Zerstö-
rer solcher tradierten Kompositionsweisen galt, naheliegend. Der erklärte Anti-
romantiker Strauß verfasste in Sonettform zwei Elogen auf Lachner, die
zugleich implizit ironisch gegen Wagner gerichtet waren. Das erste dieser So-
nette mit dem Titel An Franz Lachner lautet folgendermaßen (vgl. Janz 1997,
173):
An Franz Lachner
Den Stab, den lange ruhmvoll du geschwungen
Mit dem, ein Feldherr, du gebot’st den Tönen,
Ihn hat, geschickt im Wühlen, keck im Höhnen,
Dir schnöder Undank aus der Hand gerungen.
Vom hohen Geiste deiner Kunst durchdrungen,
Nahmst du das Ziel dir vor, zum ächten Schönen
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften