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Neymeyr, Barbara; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 1/2): Kommentar zu Nietzsches Unzeitgemässen Betrachtungen: I. David Strauss der Bekenner und der Schriftsteller, II. Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben — Berlin, Boston: De Gruyter, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.69926#0123
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Stellenkommentar UB I DS 2, KSA 1, S. 167-168 97

Grundgeheimniss der Wissenschaft, zum Erstaunen, ja Aerger der Wissen-
schaftlichen, aufgedeckt worden ist“ (KSA 1, 99, 1-5). - Während N. dieses be-
rühmte Diktum von Gotthold Ephraim Lessing, der damit das Suchen der
Wahrheit dem sicheren Besitz der Wahrheit vorzieht, in der Geburt der Tragö-
die nur erwähnt, zitiert er Lessings Bekenntnis in UB I DS sogar explizit (197,
32 - 198, 14) und unterstreicht dadurch seine paradigmatische Aussagekraft.
In seiner Schrift Eine Duplik sieht Lessing „den Wert des Menschen“ nicht im
„Besitz“ der „Wahrheit“, sondern in der „aufrichtige[n] Mühe, die er ange-
wandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen“; denn nur „durch die Nachfor-
schung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer
wachsende Vollkommenheit besteht. Der Besitz macht ruhig, träge, stolz [...]“
(Lessing: Werke und Briefe in zwölf Bänden, Bd. 8, 1989, 510).
Mitunter schreibt N. dem Typus des Suchenden auch im intellektuellen
Bereich eine Haltung heroischer Risikobereitschaft zu, wie sie für ihn auf ex-
emplarische Weise der Seefahrer und Entdecker Columbus repräsentiert. Vgl.
dazu UB II HL (KSA 1, 324) und Also sprach Zarathustra (KSA 4, 287). Die Über-
tragung dieses Entdecker-Habitus in die Sphäre geistiger Abenteuer bestimmt
ein späteres Nachlass-Notat von 1885: Dort bezieht sich N. auf „alle jene Kriti-
ker und Historiker, von denen die glücklich begonnene Entdeckung der alten
Welt - es ist das Werk des neuen Columbus, des deutschen Geistes - muthig
fortgesetzt wird“ (NL 1885, 37 [8], KSA 11, 582-583). Vgl. dazu auch das
nachgelassene Gedicht Columbus novus (NL 1882, 1 [101], KSA 10, 34).
167, 23-27 so dass Einer von ihnen, für Alle, im hohen Alter sagen konnte: „ich
habe es mir ein halbes Jahrhundert lang sauer genug werden lassen und mir
keine Erholung gegönnt, sondern immer gestrebt und geforscht und gethan, so
gut und so viel ich konnte.“] N. zitiert hier (mit Auslassungen) aus Goethes Ge-
spräch mit Johann Peter Eckermann, der sich an die folgende Äußerung Goe-
thes am 14. März 1830 erinnert: „Ich habe es mir ein halbes Jahrhundert lang
sauer genug werden lassen. Ich kann sagen, ich habe in den Dingen, die die
Natur mir zum Tagewerk bestimmt, mir Tag und Nacht keine Ruhe gelassen
und mir keine Erholung gegönnt, sondern immer gestrebt und geforscht und
getan, so gut und so viel ich konnte. Wenn Jeder von sich dasselbe sagen kann,
so wird es um Alle gut stehen“ (Goethe: FA, Abt. II, Bd. 12 (39), 709).
168,18-22 damals als in dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts in Deutsch-
land ein so mannigfaches und verwirrendes Suchen, Experimentiren, Zerstören,
Verheissen, Ahnen, Hoffen begann und durcheinanderwogte] Bereits in nachge-
lassenen Vorarbeiten zu UB I DS aus dem Jahr 1873 findet sich ein aufschluss-
reicher Entwurf, den N. nur teilweise für den vorliegenden Kontext verwendet
hat: „Aus dem wilden Gebräu von Philosophie, Romantik und Experimentiren
 
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