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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]; Buckwalter, Stephen E. [Bearb.]; Schulz, Hans [Bearb.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 10): Schriften zu Ehe und Eherecht — Gütersloh, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.30230#0492
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488

15. GUTACHTEN I UR PHILIPP VON HESSEN

Bei der Unterredung in Melsungen Ende November 1539 gab der Landgraf dem
Straßburger Reformator eme »Instruktion« mit, die dieser Luther und Melanchthon
überreichen sollte.14 Darin faßte Philipp die Gründe zusammen, die seiner Meinung
nach für eine Doppelehe sprachen: Er hob den eigenen belasteten seelischen Zu-
stand und seine Unfähigkeit, außerhalb der Ehe keusch zu leben, hervor, gab seine
fehlende Zuneigung zu Chnstma von Sachsen offen zu, wies auf das Beispiel der po-
lygam lebenden alttestamenthchen Väter und Könige hin und erinnerte die Witten-
berger mcht zuletzt an lhre einst geäußerte Bereitschaft, Heinrich VIII. von England
eher eine bigame Ehe als eine Ehescheidung zu erlauben15. Für den Fall, daß die
Wittenberger Philipp lhre Zustimmung verweigern, drohte der Landgraf damit, di-
rekte Verhandlungen mit Kaiser und Papst aufzunehmen, mit allen negativen politi-
schen Konsequenzen, die sich für den Schmalkaldischen Bund daraus ergeben
könnten.
Nach Gesprächen mit Bucer verfaßten Luther und Melanchthon am 10. Dezem-
ber 1539 einen von Bucer und anderen Theologen mitunterzeichneten Ratschlag16,
in welchem sie Philipp auffordern, um seiner wichtigen Position willen ein zucht-
volles und sitthch disziphniertes Leben zu führen und bei Christina von Sachsen zu
bleiben. Die Doppelehe unter Berufung auf das Alte Testament durch ein allgemein-
gültiges Gesetz zu erlauben, komme gar nicht in Frage. Allerdings sei eine Dispens
für diesen besonderen Fall durchaus denkbar; sie müßte jedoch geheimgehalten
werden, denn eine publik gewordene Duldung der Bigamie würde der evangeli-
schen Sache irreparablen Schaden zufügen. Wenn es Philipp tatsächhch mcht mög-
lich sei, mnerhalb seiner bestehenden Ehe ein keusches Leben zu führen, könne die
Möghchkeit erwogen werden, ihm eine zweite legitime Ehefrau zu erlauben. Eine
derartige Eheschließung müsse dennoch streng geheim bleiben und vor dem gemei-
nen Volk als ein - für zeitgenössische Fürsten nicht ungewöhnliches - Konkubinat
ausgegeben werden. Die Theologen bieten diese Lösung an, um dem Landgrafen zu
einer Beremigung seines Gewissens vor Gott zu verhelfen und somit eine gedeih-
hche Herrschaft über Land und Volk zu ermöglichen.
Am 14. Dezember 1539 traf sich Bucer mit dem sächsischen Kurfürsten Johann
Friedrich m Weimar, dem er die obengenannte »Instruktion« Phihpps und den
»Ratschlag« der Wittenberger Theologen übergab. Am folgenden Tag äußerte sich
der Kurfürst 1m Sinne des Wittenberger Ratschlags: Er forderte den Landgrafen auf,
ein zuchtvolles Leben bei seiner ersten Ehefrau zu führen, zeigte jedoch Verständnis
für seinen Wunsch, eine Doppelehe einzugehen, und bat ihn, sich dabei an die Vor-
gaben der Theologen zu halten.17 Bucer hielt den Landgrafen über den Fortschritt
seiner Verhandlungen durch eine rege Korrespondenz auf dem Laufenden18 und

14. Ediert in: WA Br 8, S. 631-636; vgl. auch das ausführliche Regest bei MBW 2317.
15. Hierzu vgl. oben S. 107 und Pollet II, S. 448 f.
16. WA Br 8, S. 638-644 = MBW 2326.
17. Vgl. Eells, Attitude, S. 83 f.
18. Briefe an Philipp vom 3., 4. und 14. Dezember 1539, Lenz I, S. 118-120.
 
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