Klosterordnung 1569
der ganzen welt offenbar, das viel kinder wider
ihren willen in klöstern gehalten, auch den
eltern ihr veterlicher gewalt genomen, das sie
nach heschehenen geliibden ihre eigene kinder
nicht mehr aus dem klosterleben fordern dörfen.
Desgleichen sind diese gelübde auch aus un-
verstand des heiligen evangelii 22 dahin gedeutet
worden, das nemlich eine klosterjungfrau mit
dem gelobten gehorsam, keuscheit und williger
armut ihre sünde vor Gottes angesicht büssen
und nicht allein ihr selbst, sondern auch ihren
freunden, vetern, müttern, brüdern, schwestern,
und wer sich derselben ihrer werke teilhaftig
gemacht, das ewige leben verdienen könne 23,
welches der ersten stifter und anfenger des
klosterlebens wille und meinung 24 keinesweges,
gewesen ist, da solche gelübde allein zu er-
haltunge der zucht gewesen sind. Aber das sie
damit vergebung der sünden ihnen selbst oder
andern verdienen solten, das ist ihr wille und
meinung nicht gewesen. Denn unser christlicher,
catholischer glaube leret uns, das wir vergebung
der sünden gleuben allein durch das bitter
leiden und sterben Jhesu Christi, der uns mit
dem werk seines gehorsams dem Vater wider-
umb versönet und alle unsere sünde gebüsset
und bezalet hat [Rom. 5, 6 ff.; Phil. 2, 6 ff.;
Ephe. 1, 7], wie droben in der kurzen erklerunge
des christlichen glaubens gesaget und gnugsam
angezeiget ist.
Zudem sind es mehrerteils solche werk, die
nicht Gott, sondern allein die menschen 25 aus
lauter menschlicher andacht geboten, zum teil
auch dem offenbaren wort Gottes zuwider, mit
welchen Gott gar nicht gedienet, sondern zum
höchsten erzürnet und die hausordnung ver-
22 a. R.: Falscher und unchristlicher wahn, so
an den klostergelübden hangen.
23 Vgl. Conf. Aug. XXVII, 44. Bek. Schr. S. 116 f.;
Apol. IV, 359 f. u. XXVII, 24 f. Bek. Schr.
S. 228 u. 385; Art. Schmalkald. Von Kloster-
gelubden. Bek. Schr. S. 461.
24 a. R.: Wohin die alten die klostergelübde ge-
meint.
25 a. R.: Die werk des klosterlebens sind men-
schengebot.
keret wird wider den willen der anfenger des
klosterlebens, die es keinesweges dahin ver-
standen noch gemeint haben.
Denn das sie auf bestimpte tage fische und
nicht fleisch essen 26, ist ein stück der hausord-
nung 27 gewesen und nicht der kirchenordnung,
wie anders mehr, damit nicht imer leinerley
speise fürgetragen und ein jede speis auf ihr
besondere und bestimpte zeit bereitet wird, wie
denn auch ordentlich hausveter und hausmütter,
so nicht im klosterstande leben, eine solche
ordnung mit ihrem gesinde halten, das sie gewis
wissen, was sie auf jeden tag kochen sollen.
Dis stück der hausordnung ist hernach durch
unverstendige leut viel anderst gedeutet, ein
stück der kirchenordnung und des gottesdienstes
daraus gemacht und endlich dahin verstanden
worden, als ob ein besonderer gottesdienst sey,
auf bestimpte zeit fisch und nicht fleisch
essen 28, .darzu die gewissen darüber verstricket
und pine grosse sünde daraus gemacht, wenn
ein mensch auf einen solchen verbotenen tag
solte fleisch gessen haben, und deshalben zu
unsern zeiten viel fromer gottseliger Christen
darumb .jemerlich verfolget und hertiglich ge-
strafft worden, welches alles dem offenbaren
wort Gottes nicht weniger als der ersten stifter
willen Lzuwider ist.
Denn S. Paulus zeuget mit klaren worten und
schreibet [Rom. 14, 17 f.]: Das reich Gottes ist
nicht essen und trinken 29, sondern gerechtigkeit,
friede und freude im heiligen Geist. Wer dar-
innen Christo dienet, spricht er, der ist Gott
gefellig und den menschen weerd. Das ist so
viel gesagt: Gott fraget nichts darnach, du
essest fisch oder fleisch, koel oder speck, damit
26 a.R.: Unterscheid der speise gehört in die
hausordnung, nicht in die kirchenordnung des
neuen testaments.
27 Vgl. z. B. die ausführliche Speiseordnung in
der Regel Chrodegangs v. Metz: MSL 89,
1106 ff. (Cap. XX ff.), dazu M. Heimbucher,
a. a. O. Bd. I, S. 395.
2S Vgl. hierzu ausführlich Th. H. Simar, Lehr-
buch d. Moraltheologie 3. 1893, S. 320 f.
29 a. R.: Unterscheid der speise ist kein stück
des gottesdienstes.
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der ganzen welt offenbar, das viel kinder wider
ihren willen in klöstern gehalten, auch den
eltern ihr veterlicher gewalt genomen, das sie
nach heschehenen geliibden ihre eigene kinder
nicht mehr aus dem klosterleben fordern dörfen.
Desgleichen sind diese gelübde auch aus un-
verstand des heiligen evangelii 22 dahin gedeutet
worden, das nemlich eine klosterjungfrau mit
dem gelobten gehorsam, keuscheit und williger
armut ihre sünde vor Gottes angesicht büssen
und nicht allein ihr selbst, sondern auch ihren
freunden, vetern, müttern, brüdern, schwestern,
und wer sich derselben ihrer werke teilhaftig
gemacht, das ewige leben verdienen könne 23,
welches der ersten stifter und anfenger des
klosterlebens wille und meinung 24 keinesweges,
gewesen ist, da solche gelübde allein zu er-
haltunge der zucht gewesen sind. Aber das sie
damit vergebung der sünden ihnen selbst oder
andern verdienen solten, das ist ihr wille und
meinung nicht gewesen. Denn unser christlicher,
catholischer glaube leret uns, das wir vergebung
der sünden gleuben allein durch das bitter
leiden und sterben Jhesu Christi, der uns mit
dem werk seines gehorsams dem Vater wider-
umb versönet und alle unsere sünde gebüsset
und bezalet hat [Rom. 5, 6 ff.; Phil. 2, 6 ff.;
Ephe. 1, 7], wie droben in der kurzen erklerunge
des christlichen glaubens gesaget und gnugsam
angezeiget ist.
Zudem sind es mehrerteils solche werk, die
nicht Gott, sondern allein die menschen 25 aus
lauter menschlicher andacht geboten, zum teil
auch dem offenbaren wort Gottes zuwider, mit
welchen Gott gar nicht gedienet, sondern zum
höchsten erzürnet und die hausordnung ver-
22 a. R.: Falscher und unchristlicher wahn, so
an den klostergelübden hangen.
23 Vgl. Conf. Aug. XXVII, 44. Bek. Schr. S. 116 f.;
Apol. IV, 359 f. u. XXVII, 24 f. Bek. Schr.
S. 228 u. 385; Art. Schmalkald. Von Kloster-
gelubden. Bek. Schr. S. 461.
24 a. R.: Wohin die alten die klostergelübde ge-
meint.
25 a. R.: Die werk des klosterlebens sind men-
schengebot.
keret wird wider den willen der anfenger des
klosterlebens, die es keinesweges dahin ver-
standen noch gemeint haben.
Denn das sie auf bestimpte tage fische und
nicht fleisch essen 26, ist ein stück der hausord-
nung 27 gewesen und nicht der kirchenordnung,
wie anders mehr, damit nicht imer leinerley
speise fürgetragen und ein jede speis auf ihr
besondere und bestimpte zeit bereitet wird, wie
denn auch ordentlich hausveter und hausmütter,
so nicht im klosterstande leben, eine solche
ordnung mit ihrem gesinde halten, das sie gewis
wissen, was sie auf jeden tag kochen sollen.
Dis stück der hausordnung ist hernach durch
unverstendige leut viel anderst gedeutet, ein
stück der kirchenordnung und des gottesdienstes
daraus gemacht und endlich dahin verstanden
worden, als ob ein besonderer gottesdienst sey,
auf bestimpte zeit fisch und nicht fleisch
essen 28, .darzu die gewissen darüber verstricket
und pine grosse sünde daraus gemacht, wenn
ein mensch auf einen solchen verbotenen tag
solte fleisch gessen haben, und deshalben zu
unsern zeiten viel fromer gottseliger Christen
darumb .jemerlich verfolget und hertiglich ge-
strafft worden, welches alles dem offenbaren
wort Gottes nicht weniger als der ersten stifter
willen Lzuwider ist.
Denn S. Paulus zeuget mit klaren worten und
schreibet [Rom. 14, 17 f.]: Das reich Gottes ist
nicht essen und trinken 29, sondern gerechtigkeit,
friede und freude im heiligen Geist. Wer dar-
innen Christo dienet, spricht er, der ist Gott
gefellig und den menschen weerd. Das ist so
viel gesagt: Gott fraget nichts darnach, du
essest fisch oder fleisch, koel oder speck, damit
26 a.R.: Unterscheid der speise gehört in die
hausordnung, nicht in die kirchenordnung des
neuen testaments.
27 Vgl. z. B. die ausführliche Speiseordnung in
der Regel Chrodegangs v. Metz: MSL 89,
1106 ff. (Cap. XX ff.), dazu M. Heimbucher,
a. a. O. Bd. I, S. 395.
2S Vgl. hierzu ausführlich Th. H. Simar, Lehr-
buch d. Moraltheologie 3. 1893, S. 320 f.
29 a. R.: Unterscheid der speise ist kein stück
des gottesdienstes.
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