416 I Eva Schlotheuber
Gattung5, ein Zitat das Walter Berschin nicht ohne Grund an den Anfang seines
Opus magnum zur mittelalterlichen Heiligenbiographie gestellt hat. Im Epilog
begründet Athanasius seinen Entschluss, die Lebensgeschichte des Antonius zu
schreiben, in denkwürdiger Weise: „Denn Antonius wurde berühmt nicht durch
seine Schriften, noch durch weltliche Weisheit oder irgendeine Kunst, sondern
allein durch seine Frömmigkeit. Dass dies eine Gnade Gottes ist, wird niemand
leugnen. Wie hätte man sonst von ihm, der sich auf seinem Berg verbarg und
ruhig dort saß, in Spanien, Gallien, in Rom und in Afrika gehört (...)."6 Damit
bringt Athanasius auf den Punkt, worum es mir in diesem Zusammenhang geht:
Die Antoniusvita etablierte einen konkurrierenden Wissenszugang, der sich
deutlich von gelehrter Bildung unterschied. Die enorme Verbreitung der Antoni-
usvita verschaffte ihm große Geltungskraft und nachhaltige Autorität.
Athanasius führt den Wissenszugang in einem eigenen Kapitel aus: Christen
bringen dem bildungsfernen Schichten entstammenden, illitteraten Antonius
die Heilige Schrift zu Gehör, „wobei er so aufmerksam war, dass ihm kein Wort
entfiel - sein Gedächtnis ersetzte ihm so die Bücher." Ein wirkmächtiges Zitat,
dass der Abt und Humanist Johannes Trithemius (1462-1516) noch über tausend
Jahre später aufgreift.7 Die neue Qualität von Antonius' Wissen erklärt Athana-
sius anhand eines Streitgesprächs des Antonius mit heidnischen Philosophen,
als der Eremit bereits auf dem „hohen Berg" {mons excelsus) angekommen ist,
also sein innerer und äußerer Aufstiegsweg sich schon seinem Ziel nähert. Es
wird eine Konkurrenzsituation evoziert, da zwei heidnische Philosophen sich
zu Antonius aufgemacht haben, um ihn auf die Probe zu stellen. Der Eremit
fragt die Ankommenden mit Hilfe eines Dolmetschers: „,Warum habt ihr euch,
ihr Philosophen, so bemüht zu einem törichten Menschen?' Als sie antworteten,
er sei nicht töricht, sondern überaus klug, da sprach er zu ihnen: ,Wenn ihr zu
einem Dummen gekommen seid, ist eure Mühe vergeblich; wenn ihr aber glaubt,
daß ich klug sei, so werdet wie ich. Denn das Gute muß man nachahmen. Wenn
ich zu euch gekommen wäre, würde ich euch nachahmen; da ihr aber zu mir
gegangen seid, werdet wie ich; ich bin ein Christ.' Sie aber kehrten voll Erstau-
nen zurück; denn sie sahen, daß sogar die Dämonen den Antonius fürchteten."8
Antonius schlägt die Argumentationskunst der Philosophen mit ihren eigenen
5 Leo Spitzer, Erhellung des „Polyeucte" durch das Alexiuslied, in: Archivum Romanicum 16
(1933), S. 484.
6 Übersetzung nach: Leben des heiligen Antonius, in: Des heiligen Athanasius ausgewählte
Schriften, Bd. 2, aus dem Griechischen übers, von Anton STEGMANN/Hans Merkel (Biblio-
thek der Kirchenväter 31/2), Kempten/München 1917, S. 776.
7 Leben des heiligen Antonius (wie Anm. 6), S. 693; Berschin, Biographie (wie Anm. 3),
S. 126.
8 Leben des heiligen Antonius (wie Anm. 6), S. 757.
Gattung5, ein Zitat das Walter Berschin nicht ohne Grund an den Anfang seines
Opus magnum zur mittelalterlichen Heiligenbiographie gestellt hat. Im Epilog
begründet Athanasius seinen Entschluss, die Lebensgeschichte des Antonius zu
schreiben, in denkwürdiger Weise: „Denn Antonius wurde berühmt nicht durch
seine Schriften, noch durch weltliche Weisheit oder irgendeine Kunst, sondern
allein durch seine Frömmigkeit. Dass dies eine Gnade Gottes ist, wird niemand
leugnen. Wie hätte man sonst von ihm, der sich auf seinem Berg verbarg und
ruhig dort saß, in Spanien, Gallien, in Rom und in Afrika gehört (...)."6 Damit
bringt Athanasius auf den Punkt, worum es mir in diesem Zusammenhang geht:
Die Antoniusvita etablierte einen konkurrierenden Wissenszugang, der sich
deutlich von gelehrter Bildung unterschied. Die enorme Verbreitung der Antoni-
usvita verschaffte ihm große Geltungskraft und nachhaltige Autorität.
Athanasius führt den Wissenszugang in einem eigenen Kapitel aus: Christen
bringen dem bildungsfernen Schichten entstammenden, illitteraten Antonius
die Heilige Schrift zu Gehör, „wobei er so aufmerksam war, dass ihm kein Wort
entfiel - sein Gedächtnis ersetzte ihm so die Bücher." Ein wirkmächtiges Zitat,
dass der Abt und Humanist Johannes Trithemius (1462-1516) noch über tausend
Jahre später aufgreift.7 Die neue Qualität von Antonius' Wissen erklärt Athana-
sius anhand eines Streitgesprächs des Antonius mit heidnischen Philosophen,
als der Eremit bereits auf dem „hohen Berg" {mons excelsus) angekommen ist,
also sein innerer und äußerer Aufstiegsweg sich schon seinem Ziel nähert. Es
wird eine Konkurrenzsituation evoziert, da zwei heidnische Philosophen sich
zu Antonius aufgemacht haben, um ihn auf die Probe zu stellen. Der Eremit
fragt die Ankommenden mit Hilfe eines Dolmetschers: „,Warum habt ihr euch,
ihr Philosophen, so bemüht zu einem törichten Menschen?' Als sie antworteten,
er sei nicht töricht, sondern überaus klug, da sprach er zu ihnen: ,Wenn ihr zu
einem Dummen gekommen seid, ist eure Mühe vergeblich; wenn ihr aber glaubt,
daß ich klug sei, so werdet wie ich. Denn das Gute muß man nachahmen. Wenn
ich zu euch gekommen wäre, würde ich euch nachahmen; da ihr aber zu mir
gegangen seid, werdet wie ich; ich bin ein Christ.' Sie aber kehrten voll Erstau-
nen zurück; denn sie sahen, daß sogar die Dämonen den Antonius fürchteten."8
Antonius schlägt die Argumentationskunst der Philosophen mit ihren eigenen
5 Leo Spitzer, Erhellung des „Polyeucte" durch das Alexiuslied, in: Archivum Romanicum 16
(1933), S. 484.
6 Übersetzung nach: Leben des heiligen Antonius, in: Des heiligen Athanasius ausgewählte
Schriften, Bd. 2, aus dem Griechischen übers, von Anton STEGMANN/Hans Merkel (Biblio-
thek der Kirchenväter 31/2), Kempten/München 1917, S. 776.
7 Leben des heiligen Antonius (wie Anm. 6), S. 693; Berschin, Biographie (wie Anm. 3),
S. 126.
8 Leben des heiligen Antonius (wie Anm. 6), S. 757.