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DIE LETZTEN STRASSBURGER JAHRE 1546-1549
und täglich mehren. Darumb der heilige geist den lugenmund und die falsche Zungen
wol verglichen hat einem offnen grabe, das immer leut annimmet zu verderben, scharf -
fen schermessern, schwert | [B 4 b] | ern, Spiessen, gifftigen, fewrigen pfeilen, löwen
und lowinen, zenen, und natergifft90.
Dann was hat zu allen und zu disen unsem Zeiten die wäre religion und Gottesdienst 5
zerstöret und daz volck Gottes verderbet und allen zorn Gottes wider es erweckt dann
falsche Zungen, die verkerte und gottlose ding haben9 gelehret? Was hat auch alle zwi-
tracht, uffrur und blütvergiessen allemal angestifftet und erwecket dann auch die fal-
schen, gifftigen Zungen? Also werden auch zu diser zeit die gewaltigen potentaten91
wider die wäre, himlische lehre Christi grewlich gehetzet mit eitel hellischen lugen. 10
Dann dieweil der Papst mit seinem hauffen die erkantnus der warheit mit nichten mage
leiden und unser lehr und reformation mit keinem gründ der warheit kan widerfech-
ten92, so tregt er mit seiner falschen Zungen in93 die Fürsten und grosse potentaten, uns
seie an Gottes wort und lehre nichts gelegen, wenden die allein zum schein und schand-
teckel94 für, suchen allein zeitlichen wollust, güt, eer und pracht. 15
Und so wir die ding, die gantz offenbar wider daz wort und gebott Gottes sind, nit
uff uns nemmen, sonder die fliehen und abzüstellen begeren, so sind abermal die fal-
schen Zungen da und sagen, wir seien aller Oberkeit entgegen, wollen deren ire gepü-
rende gehorsame entziehen, uffrur und empörung anrichten. Beruffen wir uns dann zu
verhör95 und rechtmessiger erörterung diser götlichen Sachen, so sind aber96 die 2.0
falschen Zungen da und beredten die grossen Potentaten: Soliche Sachen der religion zu
verhören und zu richten, stehe den ordenlichen Oberkeitten nit zu, sonder sie haben
die allein zu erkennen und zu richten97. Da doch uff erden nit leut sind, die sich mit al
q) hahen.
90. Psalm 5 [10]. 52 [4]. 57 [5]. 58 [5.7]. 140 [4]. [Marg.J. - Die Zahlenangabe der Kapitel (am
Rand) werden in arabischen Ziffern gegeben, im Text werden meist lateinische verwendet.
91. Machthaber, Gewaltige.
92. Bekämpfen, bestreiten. Lexer 3, Sp. 866.
93. Trägt hinein, beeinflußt, beschwatzt (m. acc. pers.). Götze, S. 62.
94. Deckmantel, Beschönigung (Götze, S. 184); Vorwand, Schande verhüllende Decke (Lexer 2,
Sp. 656).
95. Berufen wir uns dann auf das Recht, gehört (verhört) zu werden; fordern wir dazu auf, uns
anzuhören. Lexer 3, Sp. 132.
96. Wiederum.
97. » ... stehe den ... Obrigkeiten nicht zu, sondern sie (= Papst mit seinem Haufen; = Geist-
lichkeit) haben die allein (= sie ausschließlich haben ...) zu beurteilen und zu richten.« B. bestreitet
dem geistlichen Regiment den Anspruch, die weltliche Macht auf die Anerkennung und Vollstrek-
kung seiner Urteile zu beschränken, wie das immer wieder von den römischen Theologen und
Juristen gefordert wurde. Diese Stelle ist - obwohl polemisch zugespitzt - wichtig für B.s Ver-
ständnis vom Amt der Obrigkeit, das im übrigen nicht weniger vielschichtig ist als seine Abend-
mahlslehre. Für eine wünschenswerte Untersuchung des Obrigkeitsverständnisses B.s wären die
Protokolle der Synode von 1533 (Täuferakten 8, S. 3 jff.), B.s Schrift gegen Engelbrechts Synodal-
bericht (Täuferakten 8, S. 225ff. und BDS 5, S. 43zff.) sowie die einschlägigen Schriften des Jahres
1535 (Bibi. Nr. 49 und 50) heranzuziehen. In den letzten Straßburger Jahren (1546-1549) gewinnt
die Frage nach dem göttlichen Amt der Obrigkeit - angesichts von Interim und Trienter Konzil -
für B. einen neuen Aspekt. Dafür sind die als Mss. im AST liegenden Denkschriften dieser Jahre zu
DIE LETZTEN STRASSBURGER JAHRE 1546-1549
und täglich mehren. Darumb der heilige geist den lugenmund und die falsche Zungen
wol verglichen hat einem offnen grabe, das immer leut annimmet zu verderben, scharf -
fen schermessern, schwert | [B 4 b] | ern, Spiessen, gifftigen, fewrigen pfeilen, löwen
und lowinen, zenen, und natergifft90.
Dann was hat zu allen und zu disen unsem Zeiten die wäre religion und Gottesdienst 5
zerstöret und daz volck Gottes verderbet und allen zorn Gottes wider es erweckt dann
falsche Zungen, die verkerte und gottlose ding haben9 gelehret? Was hat auch alle zwi-
tracht, uffrur und blütvergiessen allemal angestifftet und erwecket dann auch die fal-
schen, gifftigen Zungen? Also werden auch zu diser zeit die gewaltigen potentaten91
wider die wäre, himlische lehre Christi grewlich gehetzet mit eitel hellischen lugen. 10
Dann dieweil der Papst mit seinem hauffen die erkantnus der warheit mit nichten mage
leiden und unser lehr und reformation mit keinem gründ der warheit kan widerfech-
ten92, so tregt er mit seiner falschen Zungen in93 die Fürsten und grosse potentaten, uns
seie an Gottes wort und lehre nichts gelegen, wenden die allein zum schein und schand-
teckel94 für, suchen allein zeitlichen wollust, güt, eer und pracht. 15
Und so wir die ding, die gantz offenbar wider daz wort und gebott Gottes sind, nit
uff uns nemmen, sonder die fliehen und abzüstellen begeren, so sind abermal die fal-
schen Zungen da und sagen, wir seien aller Oberkeit entgegen, wollen deren ire gepü-
rende gehorsame entziehen, uffrur und empörung anrichten. Beruffen wir uns dann zu
verhör95 und rechtmessiger erörterung diser götlichen Sachen, so sind aber96 die 2.0
falschen Zungen da und beredten die grossen Potentaten: Soliche Sachen der religion zu
verhören und zu richten, stehe den ordenlichen Oberkeitten nit zu, sonder sie haben
die allein zu erkennen und zu richten97. Da doch uff erden nit leut sind, die sich mit al
q) hahen.
90. Psalm 5 [10]. 52 [4]. 57 [5]. 58 [5.7]. 140 [4]. [Marg.J. - Die Zahlenangabe der Kapitel (am
Rand) werden in arabischen Ziffern gegeben, im Text werden meist lateinische verwendet.
91. Machthaber, Gewaltige.
92. Bekämpfen, bestreiten. Lexer 3, Sp. 866.
93. Trägt hinein, beeinflußt, beschwatzt (m. acc. pers.). Götze, S. 62.
94. Deckmantel, Beschönigung (Götze, S. 184); Vorwand, Schande verhüllende Decke (Lexer 2,
Sp. 656).
95. Berufen wir uns dann auf das Recht, gehört (verhört) zu werden; fordern wir dazu auf, uns
anzuhören. Lexer 3, Sp. 132.
96. Wiederum.
97. » ... stehe den ... Obrigkeiten nicht zu, sondern sie (= Papst mit seinem Haufen; = Geist-
lichkeit) haben die allein (= sie ausschließlich haben ...) zu beurteilen und zu richten.« B. bestreitet
dem geistlichen Regiment den Anspruch, die weltliche Macht auf die Anerkennung und Vollstrek-
kung seiner Urteile zu beschränken, wie das immer wieder von den römischen Theologen und
Juristen gefordert wurde. Diese Stelle ist - obwohl polemisch zugespitzt - wichtig für B.s Ver-
ständnis vom Amt der Obrigkeit, das im übrigen nicht weniger vielschichtig ist als seine Abend-
mahlslehre. Für eine wünschenswerte Untersuchung des Obrigkeitsverständnisses B.s wären die
Protokolle der Synode von 1533 (Täuferakten 8, S. 3 jff.), B.s Schrift gegen Engelbrechts Synodal-
bericht (Täuferakten 8, S. 225ff. und BDS 5, S. 43zff.) sowie die einschlägigen Schriften des Jahres
1535 (Bibi. Nr. 49 und 50) heranzuziehen. In den letzten Straßburger Jahren (1546-1549) gewinnt
die Frage nach dem göttlichen Amt der Obrigkeit - angesichts von Interim und Trienter Konzil -
für B. einen neuen Aspekt. Dafür sind die als Mss. im AST liegenden Denkschriften dieser Jahre zu