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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 17): Die letzten Strassburger Jahre: 1546 - 1549 — Gütersloh, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.30258#0157
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I. Kirchenzucht und Gemeindereformation 1546/1547
(»Christliche Gemeinschaft«)
Einleitung
Die Bemühungen Bucers um eine seelsorgerlich begründete Kirchenzucht gehen bis in
die Anfänge seines Wirkens in Straßburg zurück. Sie erwuchsen aus seinem Biblizismus,
nach welchem sich jede Gemeindezucht an den Worten Jesu über das Zusammenleben
der Jünger (Mt 18,15 ff.) auszurichten hat. Der Kirche als der Gemeinde der Heiligen
stand die durch obrigkeitliche Institutionen gesicherte öffentliche Ordnung der Freien
Reichsstadt als Zielvorstellung gegenüber. Die auf Betreiben Bucers 1531 erfolgte Ein-
richtung eines Amtes der Kirchspielpfleger kann als ein Versuch angesehen werden, die
Bemühungen von Kirche und Magistrat um ein durch öffentliche Ordnung und kirchli-
che Zucht geordnetes Leben in der Stadt zu koordinieren. Dieser Versuch scheiterte an
der Verschiedenheit von Mitteln und Wegen.
Andererseits drängten Täufer und Spiritualisten darauf, daß das heiligmäßige Leben
der Gottesgemeinde in der Welt, nicht zuletzt verankert in einer strengen Gemeinde-
zucht, sichtbare Wirklichkeit sein müsse, sollte die Verkündigung des biblischen Wortes
glaubwürdig sein. Für Bucer aber war die Kirchenzucht nicht ein geistliches Polizeiregi-
ment. Sie sollte dem Einzelnen durch Einbindung in die Gemeinschaft des Glaubens
und der Liebe eine seelsorgerliche Hilfe geben und auf diese Weise das Wort vom Heil
lebendig werden lassen. Sie erwuchs aus dem Evangelium, nicht aus dem Gesetz. Sie
offenbarte Gottes Gnade, nicht sein Gericht.
Solche Gedanken waren letztlich auch Anlaß und Motiv der Synode von 1533, aus der
dann die Kirchenordnung von 1534 hervorging. Wie wenig diese von ihm selbst gesteu-
erte Entwicklung Bucer befriedigte, das zeigte seine Schrift >Von der wahren Seelsorge
und dem rechten Hirtendienst< (1538), eine großartige Pastoraltheologie aus den Anfän-
gen der Reformation. R. Stupperich hat daher in seiner Einleitung zur Edition dieser
Schrift im Hinblick auf den Dienst der Kirchenpfleger und anderer Zuchtinstitutionen
mit Recht festgestellt: »Das Versagen dieser kirchlichen Organe ... brachte es mit sich,
daß Bucer schon nach wenigen Jahren von seinem eigenen Entwurf ab rückte und eine
neue Form des christlichen Gemeinschaftslebens vorschlug, die sich an Luthers Gedan-
ken stärker anschloß und ihm wohl eine bessere Verwirklichung seines Kirchengedan-
kens versprach« (BDS 7, S. 84).
Die vierziger Jahre offenbarten die Krise, in die das Abendland durch die Entdeckun-
gen geographischer, geistiger und technischer Art geraten war. Allmählich war ein neues
Menschenbild entstanden: In Glaubensfragen verbreitete sich Gleichgültigkeit, im
bürgerlichen Leben zerbrachen überkommene Bindungen. Das galt im Reich wie in den
Kirchen, in den fürstlichen Territorien wie in den Freien Reichsstädten. Zudem war eine
Überwindung der Glaubensspaltung kaum noch zu erwarten. Verschiedene Religions-
gespräche hatten nicht weitergeführt. Im Herbst 1545 trat das Konzil in Trient ohne die
Protestanten zusammen. Anfang 1546 starb Martin Luther. Frankreich war endgültig
zum Frieden gezwungen worden. Der Kaiser konnte sich endlich um die Konsolidie-
 
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