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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Editor]; Neuser, Wilhelm H. [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Strohm, Christoph [Editor]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 17): Die letzten Strassburger Jahre: 1546 - 1549 — Gütersloh, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.30258#0103
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EIN SENDBRIEVE MARTINI BUCERI

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wercken, darzü doch uns diß alles allein vom Herren verluhen 106 und also erhalten ist,
bewegen lassen? Die leut haben wol der Vatterunser, Ave Maria und Glauben vil mit
dem mund gesprochen und Gott mit gewisser zal uffgeopfert, und wenn man das h.
Evangelion gelesen oder verkündet, ist man wol gestanden, hat das haupt entdecket 107
5 und allerlei Ehrgepreng getriben 108 , auch die grossen Eid darauff gethon. Dabei mans
aber dann lassen bleiben und das gehör 109 würcklichs glaubens nit diser stimme unsers
herrens Jesu Christi, sonder denen fabulen gegeben, die man von der verdienstlicheit
der Messen und anderer Priesterwerck und der heiligen | C zb | nach der Verkündigung
des Evangelii hat angehenget. Und darein haben die leut iren tröst 110 gesetzt und ihre
io gewissen zu stillen understanden, uff das ein jeder seinen Gotlosen lüsten nach desto
sicherer leben und sich doch durch der Priester und heiligen verdienst hie glücks und
heils und dort des ewigen lebens getrosten mochte. Mit den heiligsten Worten des
Catechismi und Evangelii haben sie es bei dem mündlichen sprechen und leiblichen
hören und verehren erwinden 111 lassen, viel haben auch ir zaubere! darmit getriben.
15 Wievil hett man dann deren gefunden, die die heilige Bibel, den seligmachenden send-
brieff Gottes an seine Creaturen, wie die der h. Gregorius nennet 112 , gelesen hetten?
Daher ist dann alle Religion und Religionübung, feiren, fasten, betten, opfren, beich
ten, Sacrament empfahen und alles, das man als Religionwerck hatt achten wollen, bei
dem volck uff ein eusserlich, abgöttisch gepreng gerahten und die armen leut dieweil
20 hingangen und verdorben in offenbarer übertrettung der zehen und aller gepotten
Gottes, In öffentlichem onglauben und Verachtung Gütliches worts und Majestet, In
unseligem aberglauben, abgotterein und Zaubereien an allerlei creaturen; In onseligem
entheiligen Gütliches namens mit schweristem verlesteren durch das erschrücklich
fluchen und schweren und durch die Epicurischen schertzreden 113 von allem gütlichen
25 thün; In entheiligung aller feier und Ceremonien Gottes; In ongehorsam gegen den
Eiteren 114 und allen vorgesetzten; In neid, hass und Verletzung des nechsten; In allerlei
onzucht und mütwillen 115 und in der so verderblichen trunckenheit; In allem geitz,
Wucher und verforteilung 116 des nechsten; In falschem zeugen, affterreden und schedli-
chem biegen der warheit; On rechte sorg und gedencken, wie sie den alten Adam mit
30 seinen argen lüsten und begirden in uns creutzigen und tüdten sollen 117 .
106. Verliehen, geschenkt. Lexer 3, Sp. 164h
107. Entblößt.
108. Aufwendigen Pomp getrieben. Grimm 3, Sp. 60: pompa.
109. Das Hören, Hinhorchen auf, der Gehorsam (mhd. »gehöre«). Lexer 1, Sp. 791.
110. Vertrauen, Zuversicht. Lexer 2, Sp. 152.7.
111. Aufhören, genugsein. Lexer 1, Sp. 702.699; erwinden lassen = bewenden lassen.
112. Hier ist Gregor I. gemeint. Vgl. unten, S. 610, Anm. 76.
113. Leichtfertige Redereien (Spott oder Spiegelfechterei). Epicurisch: als Epikurer oder Epiku-
räer bezeichnet B. in der Tradition seiner Zeit (vgl. auch Luther) humanistische und libertinistische
Rationalisten, in Straßburg besonders den Kreis um Anton Engelbrecht, Wolfgang Schultheiß,
Johann Sapidus und Otto Brunfels. Vgl. oben Anm. 71, S. 68. Vgl. Adam, S. 204; Wendel, eglise,
S. 38k W. Bellardi, Anton Engelbrecht, S. 191, Anm. 25.
114. Ältesten (der Gemeinde).
115. Leichtsinn, Willkür. Lexer 1, Sp. 2248: egener Trieb zum Bösen.
116. Übervorteilen (in Geschäften, beim Handel).
117. B. folgt bei der Beschreibung des Niedergangs kirchlichen Lebens den zehn Geboten. An
 
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