Incertarum fabularum fragmenta (fr. 19)
231
τό βέδυ Das Wort βέδυ ist Teil eines nicht näher datierbaren, aber erst
später bezeugten Spruchs, der jeden Buchstaben des (in Athen 403/2 v.Chr.
offiziell eingeführten) ionischen Alphabets genau einmal enthält: βεδυ ζαψ
χθωμ πληκτρον σφιγξ (ein weiterer solcher Spruch mit weniger eingängigen
Wörtern ist κναξζβιχ θυπτης φλεγμο δρωψ; vgl. zu beiden C. Roemer ad
Pap. Köln 175 [Kölner Papyri, Band 4 (Papyrologica Coloniensia VII), Opladen
1982, 101-4] und Merkelbach 1985). Bei Clemens von Alexandria (teilweise
oder ganz nach Didymos, vgl. oben zum Zitatkontext) werden die einzelnen
Elemente mit Bedeutungen versehen, die auf Grundelemente des Kosmos
weisen (βέδυ = Wasser oder Luft, ζάψ = Feuer oder Meer, χθών = Erde, πλή-
κτρον = Pol, Luft oder Sonne, σφίγξ = die alles zusammenhaltende Luft).
Zumindest drei der anderen Wörter des Alphabetspruchs, χθώμ (= χθών,
mit Assimilation vor dem folgenden π), πληκτρον und σφίγξ, sind auch sonst
gebräuchlich, und entsprechend ist wohl auch βέδυ mehr als nur ein für den
Alphabetspruch erfundenes Phantasiewort. Es wird von Didymos (wenn sich
φησί auf ihn bezieht) als phrygische Bezeichnung für „Wasser“ erklärt,324
während nach Neanthes von Kyzikos (FGrHist 84 F 36) die Makedonen βέδυ
in Gebeten anriefen und das Wort als „Luft“ erklärten. Damit stellt sich die
Frage, ob Philyllios, bei dem das Wort ebenfalls in einem Gebet und in der
Bedeutung „Luft“ erscheint, hier vielleicht direkt auf diesen makedonischen
Brauch anspielt (so Hoffmann 1906 , 98).325 Vielleicht noch wichtiger ist aber,
dass alle Belege des Worts (einschließlich des Fragments des Philyllios) in
einem religiösen, und zumindest in einem Fall in einem orphischen (Orph.
Z.c.), Zusammenhang stehen;326 auch die Schwankung der Bedeutung zwischen
„Luft“ und „Wasser“ könnte man vielleicht gerade in diesem Zusammenhang
erklären (vgl. die Gleichsetzung von Ωκεανός und άήρ in Pap. Derv. col. 23,2-3
PEG III p. 248 τοΐς δε όρθώς γινώσκουσιν εϋδηλον, ότι Ωκεανός έστιν ό άήρ,
άήρ δε Ζεύς). Vgl. auch Lobeck 1829, 836. 883. 1331, Detschew 1928, 280-1,
Bernabe 2004, 291 ad Orph. fr. 357.
324 Zu βέδυ = Wasser nennt Clemens auch Orph. fr. 357 Bernabe, PEG vol. II. 1 p. 291
(καί βέδυ νυμφάων καταλείβεται αγλαόν ϋδωρ) und den θύτης Dion (καί βέδυ
λαβών κατά χειρών καταχέου καί έπί τήν ίεροσκοπίην τρέπου).
325 Vgl. auch Schmid 1946,169 Anm. 4: „Der Sprecher bezeichnet die Luft als βέδυ und
bekennt sich damit als Anhänger einer nordgriechischen Sekte; (...)“. Zu Versuchen,
βέδυ aus dem Makedonischen zu erklären, vgl. Hoffmann 1906, 98-9.
326 Einen orphischen Charakter der Worte des Sprechers vermutet schon Colvin 2000,
288, der in Bezug auf βέδυ im Fragment des Philyllios vom „use of a Phrygian
gloss to give a mystic (perhaps Orphic) flavour to the speech of an Attic-speaking
character“ spricht.
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τό βέδυ Das Wort βέδυ ist Teil eines nicht näher datierbaren, aber erst
später bezeugten Spruchs, der jeden Buchstaben des (in Athen 403/2 v.Chr.
offiziell eingeführten) ionischen Alphabets genau einmal enthält: βεδυ ζαψ
χθωμ πληκτρον σφιγξ (ein weiterer solcher Spruch mit weniger eingängigen
Wörtern ist κναξζβιχ θυπτης φλεγμο δρωψ; vgl. zu beiden C. Roemer ad
Pap. Köln 175 [Kölner Papyri, Band 4 (Papyrologica Coloniensia VII), Opladen
1982, 101-4] und Merkelbach 1985). Bei Clemens von Alexandria (teilweise
oder ganz nach Didymos, vgl. oben zum Zitatkontext) werden die einzelnen
Elemente mit Bedeutungen versehen, die auf Grundelemente des Kosmos
weisen (βέδυ = Wasser oder Luft, ζάψ = Feuer oder Meer, χθών = Erde, πλή-
κτρον = Pol, Luft oder Sonne, σφίγξ = die alles zusammenhaltende Luft).
Zumindest drei der anderen Wörter des Alphabetspruchs, χθώμ (= χθών,
mit Assimilation vor dem folgenden π), πληκτρον und σφίγξ, sind auch sonst
gebräuchlich, und entsprechend ist wohl auch βέδυ mehr als nur ein für den
Alphabetspruch erfundenes Phantasiewort. Es wird von Didymos (wenn sich
φησί auf ihn bezieht) als phrygische Bezeichnung für „Wasser“ erklärt,324
während nach Neanthes von Kyzikos (FGrHist 84 F 36) die Makedonen βέδυ
in Gebeten anriefen und das Wort als „Luft“ erklärten. Damit stellt sich die
Frage, ob Philyllios, bei dem das Wort ebenfalls in einem Gebet und in der
Bedeutung „Luft“ erscheint, hier vielleicht direkt auf diesen makedonischen
Brauch anspielt (so Hoffmann 1906 , 98).325 Vielleicht noch wichtiger ist aber,
dass alle Belege des Worts (einschließlich des Fragments des Philyllios) in
einem religiösen, und zumindest in einem Fall in einem orphischen (Orph.
Z.c.), Zusammenhang stehen;326 auch die Schwankung der Bedeutung zwischen
„Luft“ und „Wasser“ könnte man vielleicht gerade in diesem Zusammenhang
erklären (vgl. die Gleichsetzung von Ωκεανός und άήρ in Pap. Derv. col. 23,2-3
PEG III p. 248 τοΐς δε όρθώς γινώσκουσιν εϋδηλον, ότι Ωκεανός έστιν ό άήρ,
άήρ δε Ζεύς). Vgl. auch Lobeck 1829, 836. 883. 1331, Detschew 1928, 280-1,
Bernabe 2004, 291 ad Orph. fr. 357.
324 Zu βέδυ = Wasser nennt Clemens auch Orph. fr. 357 Bernabe, PEG vol. II. 1 p. 291
(καί βέδυ νυμφάων καταλείβεται αγλαόν ϋδωρ) und den θύτης Dion (καί βέδυ
λαβών κατά χειρών καταχέου καί έπί τήν ίεροσκοπίην τρέπου).
325 Vgl. auch Schmid 1946,169 Anm. 4: „Der Sprecher bezeichnet die Luft als βέδυ und
bekennt sich damit als Anhänger einer nordgriechischen Sekte; (...)“. Zu Versuchen,
βέδυ aus dem Makedonischen zu erklären, vgl. Hoffmann 1906, 98-9.
326 Einen orphischen Charakter der Worte des Sprechers vermutet schon Colvin 2000,
288, der in Bezug auf βέδυ im Fragment des Philyllios vom „use of a Phrygian
gloss to give a mystic (perhaps Orphic) flavour to the speech of an Attic-speaking
character“ spricht.