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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2020 — 2021

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2020
DOI Kapitel:
I. Wissenschaftliche Vorträge
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Berg, Manfred: Von Andrew Jackson zu Donald Trump: Zur Kontinuität des Populismus in der Geschichte der USA: Sitzung der Philosophisch-historischen Klasse am 24. Januar 2020
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https://doi.org/10.11588/diglit.61621#0021
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Manfred Berg

den USA der Anteil der weißen Bevölkerung von knapp 90 auf rund 60 Prozent
gefallen, um die Mitte des 21. Jahrhunderts werden Weiße nur noch die größte
ethnische Minderheit sein - geht mit massiven Ängsten vor dem Verlust kultu-
reller Identität einher. Donald Trumps Versprechen „Make America great again!“
wird von vielen Anhängern auch als Versprechen verstanden, die weiße Hegemo-
nie wiederherzustellen. Dieses Versprechen ist illusionär. Doch auch die Erwar-
tung, die demografische Transformation sei lediglich eine Frage der Gewöhnung,
könnte sich als zu optimistisch erweisen.
Daneben befeuert die mediale Revolution die populistische Revolte. Seit den
1980er Jahren brachen neue Formate wie Kabelfernsehen und Talk Radio das In-
formations- und Deutungsmonopol der großen Fernsehsender und entdeckten
politische Agitation als Geschäftsmodell. Das Internet und die sozialen Medien
haben die Kosten und Hemmschwellen der Kommunikation dramatisch gesenkt.
Anfängliche Hoffnungen auf ein goldenes Zeitalter der Partizipation und Transpa-
renz sind inzwischen der Einsicht in das destruktive Potenzial der neuen Medien
gewichen. Ohne Plattformen wie Breitbart News und den Kurznachrichtendienst
Twitter ist Trumps Wahlerfolg kaum vorstellbar. Der ehemalige Reality TV-Star
Trump profitierte darüber hinaus davon, dass die Grenze zwischen Information
und Unterhaltung immer fließender wird und das Publikum Tabubrüche auch als
Entertainment empfindet.
Bei den Präsidentschaftswahlen im November 2020 konnte Donald Trump
sein Wahlergebnis von 2016 noch einmal um acht Millionen Stimmen steigern.
Trotz seiner Niederlage hat sich das Mobilisierungspotenzial des amerikanischen
Rechtspopulismus als ungebrochen erwiesen. Es bleibt abzuwarten, welche Dy-
namik sich aus dem Mythos, dem „Volk“ sei die Wahl „gestohlen“ worden, entwi-
ckeln wird.
Die Hoffnung, der Populismus möge sich als vorübergehendes Krisenphäno-
men erweisen, dürfte aus zwei Gründen trügen. Erstens ist nicht absehbar, dass die
Problemkonstellation aus Globalisierung, demografischem Wandel und Kommu-
nikationsrevolution in absehbarer Zeit verschwinden wird. Die Polarisierung zwi-
schen den Republikanern als Partei der konservativen, nationalistischen Weißen
und den Demokraten als Partei der liberalen Eliten und ethnischen Minderheiten
droht sogar noch schärfer zu werden.
Zweitens wird der Populismus allein deshalb nicht verschwinden, weil er der
modernen Massendemokratie eingeschrieben ist. Die demokratischen Verspre-
chen auf Gleichheit, Emanzipation und Partizipation sind tendenziell eliten- und
autoritätsskeptisch. Im besten Fall ist der Populismus daher ein belebendes Kor-
rektiv zu technokratischer Erstarrung, im schlimmsten Fall öffnet er Demagogie
und Autoritarismus die Türen. Ob sich die checks and balances des politischen Sys-
tems der USA gegenüber dieser Versuchung auch zukünftig als wirksame Barriere
erweisen werden, ist keinesfalls ausgemacht.

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