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Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2020 — 2021

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B. Die Mitglieder
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Primavesi, Oliver: Albrecht Dihle: (28. 3. 1923 − 29. 1. 2020)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61621#0108
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B. Die Mitglieder

gen von der formelhaften Normaldiktion der Ilias auszeichnen. Daraus schließt er,
dass diese beiden Partien auf ursprünglich schriftlich konzipierte ‘Einzelgedichte’
zurückgehen, die später adaptierend in die - ansonsten im Wesentlichen mündlich
gedichtete - Ilias eingefügt worden seien. Dihle konzediert also den „hard Par-
ryists“ erstaunlich viel, nämlich nicht weniger als die mündlich improvisierende
Abfassung des größten Teils der Ilias, um nur für kleinere, sekundär eingefügte
Teile an schriftlicher Abfassung festzuhalten. Jene Konzession aber ist bei aller
Anerkennung der Ergebnisse Parrys gar nicht zwingend. So bezeichnet Dihle im
ersten Abschnitt seiner Griechischen Literaturgeschichte die von ihm in den Homer-
Problemen angenommenen, schriftlich verfassten Einzelgedichte als „Zeugnisse der
Verwendung mündlich entwickelter Stilmittel in schriftlich konzipierter, aber zum
mündlichen Vortrag bestimmter Dichtung“, die dann „mit Stücken rein münd-
licher Poesie zu unauflöslichen Kompositionseinheiten verbunden“ worden sei-
en.104 Indessen kann man die erste der beiden soeben zitierten Formulierungen, die
bei Dihle nur als Charakterisierung der vermeintlichen Einzelgedichte aus schrift-
licher Produktion gemeint ist, ebenso gut — mit Albin Lesky - als vollkommen
treffende Beschreibung eines Groß-Epos lesen, das ein in der mündlichen Impro-
visation noch vollkommen geschulter Epiker erstmals schriftlich konzipiert und
aufgezeichnet hat; hierbei würden dann die von Dihle in der zweiten Formulie-
rung erwähnten Stücke rein mündlicher Poesie in die (weitere oder unmittelbare)
Vorgeschichte der Z//hs-Komposition zu relegieren sein.105 In gleichem Sinne schreibt
Wolfgang Kullmann in seiner Besprechung der Homer-Probleme, dass Dihles Über-
legungen zum Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit auch einen an-
deren Schluss nahelegen könnten, als den von Dihle selbst gezogenen: „Die ...
Überlegungen D.s ... scheinen deutlich zu machen, dass auch ein mit Hilfe der
Schrift komponierender Dichter, wenn er von Hause aus noch ganz in der ,oral
tradition‘ aufgewachsen ist, in der überkommenen Dichtersprache dichten kann,
ohne daß die Benutzung der Schrift an seinen sprachlichen Formulierungen ables-
bar wäre.“106 Gibt man dieses zu, dann bleibt von dem vermeintlich zwingenden
Schluss der „hard Parryists“ von der in unserer Ilias noch weithin bewahrten Öko-
nomie des Formelsystems auf die Hervorbringung dieser Textform im Wege münd-
licher Improvisation rein gar nichts übrig: Zwar spricht alles dafür, dass im Laufe
einer zeitlich ausgedehnten Phase schriftlicher Epenkomposition die anfangs aus
der vorangehenden Phase mündlicher Komposition noch beibehaltene Ökono-
mie des Formelsystems aufgrund des Wegfalls ihrer Funktion allmählich zergeht.
Aber es erscheint aus heutiger Sicht als Fehlschluss, dieses Zergehen wie durch
Geisterhand bereits unmittelbar dann eintreten zu lassen, wenn ein Meister der

104 Dihle 1991a, 11-12.
105 Lesky 1968b, 413.
106 Kullmann 1970, 537.

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