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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2012 — 2013

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I. Das Geschäftsjahr 2012
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Kaiser, Wolfgang: Griechisch, Latein oder Zweisprachigkeit – Die Wahl der Sprache in der Gesetzgebung Kaiser Justinians und ihre Auswirkungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.55656#0048
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20. Januar 2012

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Auch die Gesetze der oströmischen Kaiser (mit Residenz in Konstantinopel), die für
den weitestgehend griechischsprachigen Osten galten, ergingen ganz überwiegend
auf Latein. Dieses Prinzip lässt sich auch noch für die ersten Jahre der Regierungs-
zeit Kaiser Justinians (527—565) nachweisen. Für reichsweite Gesetze begegnen aber
unter Justinian seit Beginn des Jahres 535 griechische Fassungen, die sich — von nur
noch wenigen Ausnahmen reichsweiter lateinischer Gesetze abgesehen — bis zum
Ende seiner Regierungszeit nachweisen lassen. Dies wirft die Frage auf, ob das Grie-
chische das Lateinische als reichsweite Gesetzessprache abgelöst hat, d.h. etwa auch
reichsweite Gesetze im lateinischsprachigen Nordafrika (seit Ende 533 Teil des ost-
römischen Reichs) nunmehr auf Griechisch publiziert wurden. Sicher bezeugt ist,
dass unter Justinian Gesetze, die nur bestimmte Regionen betrafen, in der Sprache
der jeweiligen Bevölkerung ergingen, so etwa auf Latein für lateinischsprachige
Reichsteile und Provinzen (Nordafrika, Moesia secunda etc.), auf Griechisch hinge-
gen für östliche Regionen und Provinzen. Entscheidend ist die Bewertung der hand-
schriftlichen Überlieferung der Gesetzgebung Justinians ab dem Jahre 535: Die
reichsweiten Gesetze der Jahre 535 bis 567 sind ausschließlich in privaten Samm-
lungen überliefert, die im Osten, wohl Konstantinopel, entstanden sind. Die umfang-
reichste dieser Sammlungen umfasst 168 Stücke, davon 158 Gesetze Justinians
(sowohl reichsweite Novellen als auch Gesetze mit begrenztem Geltungsbereich),
sieben seiner Nachfolger Justin II. und Tiberius II. und drei Edikte von Prätorianer-
präfekten. Als Empfänger reichsweiter Novellen erscheinen dort nur Magistrate mit
Sitz in Konstantinopel bzw. bei kirchenrechtlichem Inhalt auch der Patriarch von
Konstantinopel. Daher lässt die Verwendung des Griechischen keinen Rückschluss
auf die Sprache aller Exemplare einer Novelle zu, von der nicht nur eine, sondern
eine Vielzahl von Ausfertigungen an verschiedene Empfänger existierte.
In einer Novelle des Jahres 538 nimmt Justinian auf ein früheres Gesetz des
Jahres 536 Bezug und erwähnt explizit, dass es hiervon neben einer griechischen Fas-
sung für den Prätorianerpräfekten der Präfektur Oriens eine lateinische Version für
den Prätorianerpräfekten der Präfektur Afrika gegeben habe. Erhalten ist nur der
griechische Text, dessen Wortlaut keinerlei Elinweise auf die Existenz einer weiteren
lateinischen Ausfertigung enthält. Einmal ist auch die Existenz von Ausfertigungen
einer Novelle auf Griechisch und Latein auf regionaler Ebene bezeugt, so bei einem
Gesetz des Jahres 535, das Zinswucher gegenüber Bauern in der Diözese Thracia
bekämpft. Hier erhielt der Statthalter der griechischsprachigen Provinz Haemimon-
tus die Novelle auf Griechisch, der Statthalter der lateinischsprachigen Provinz
Moesia secunda hingegen auf Latein (beide Provinzen bilden gemeinsam mit vier
anderen die Diözese Thracia). Ausnahmsweise ist hier neben der griechischen Aus-
fertigung auch die lateinische im Wortlaut erhalten. Auch eine umfassende Verwal-
tungsanweisung aus dem Jahre 535, die die korrekte Amtsführung der Statthalter in
den Provinzen gewährleisten sollte, ließ Justinian zweisprachig abfassen. Die Anwei-
sungen sollten öffentlich in den Provinzen ausgehängt werden, um der Bevölkerung
die Möglichkeit einer Kontrolle des Statthalters zu geben, und zwar je nach Provinz
in der Sprache ihrer Einwohner. Aufgrund der nachrichtlichen Bezeugung zumin-
dest einer lateinischen Ausfertigung einer reichsweiten Novelle und der feststellba-
 
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