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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2012 — 2013

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2012
DOI Artikel:
Strohm, Christoph: Religion und Recht. Beobachtungen zu ihrem Verhältnis in der Frühen Neuzeit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55656#0058
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20. April 2012

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Übergewicht protestantischerJuristen feststellen. Neben anderen Faktoren sind hier
auch weltanschaulich-konfessionelle in Rechnung zu stellen. So hat der Protestantis-
mus gegenüber geistlicher Bevormundung den Eigenwert der weltlichen Obrigkeit
im Blick auf ihre spezifischen Aufgaben betont. Das ging so weit, dass man ihr teil-
weise auch die Verantwortung für die rechte Gottesverehrung im Gemeinwesen
zuschrieb. In der Folge konnte der Augsburger Religionsfrieden von 1555, in dem
Juristen die unvereinbaren religiösen Wahrheitsansprüche durch rechtliche Regelun-
gen zu zähmen suchten, in protestantischen Milieus leichter Akzeptanz finden als im
Bereich der katholischen Kirche und sogar die Dignität eines Reichsgrundgesetzes
erlangen. Zu beachten ist dabei, dass die humanistisch gebildeten katholischen Juri-
sten im Umkreis des Kaisers den Friedensvertrag mitverfasst und entsprechend
befürwortet haben. Strenge Anhänger der sich formierenden tridentinischen Reform
oder auch der Papst konnten jedoch den Augsburger Religionsfrieden nicht akzep-
tieren.
Eine andersgeartete Konstellation zeigt sich auf dem Gebiet des Natur- und
Völkerrechts. Hier wurde der Diskurs im 16. Jahrhundert weitgehend von katho-
lischen Autoren bestimmt, insbesondere aus dem Bereich der sog. spanischen
Spätscholastik. Auf dem Hintergrund des spanischen Weltreiches entfaltete der
Dominikaner-Theologe Francisco deVitoria (ca. 1483—1546) die Vorstellung einer
Völkergemeinschaft, die den nach Art einer Respublica verfassten Erdkreis umfassen
sollte. Der humanistisch geprägte Jurist Fernando Vasquez de Menchaca (1512—1569)
beschrieb das Völkerrecht mit Hilfe eines stoisch inspirierten Vernunftbegriffs.
Am Ende des 16. Jahrhunderts waren es dann Mitglieder des Jesuitenordens, die den
völkerrechtlichen Diskurs voranbrachten; am prominentesten Francisco Suärez
(1548—1617). Sein 1612 zum ersten Mal gedruckter Tractatus de legibus ac Deo legisla-
tore bildete den Höhepunkt. Schon im Titel wurde das Anliegen sichtbar, den Dis-
kurs über das Wesen der Gesetze wieder stärker auf Gott als den Gesetzgeber zu
beziehen. Suärez‘ Bestreben, die sich von der Vorherrschaft des kanonischen Rechts
und theologischer Normierung emanzipierende natur- und völkerrechtliche Argu-
mentation zu „retheologisieren“, war charakteristisch für die von den Jesuiten getra-
gene tridentinische Re-Formierung des Katholizismus. So hatte das am römischen
Recht ausgerichtete Zivilrechtsstudium im jesuitischen Lehrplan kaum Platz und
humanistische Autoren wie Erasmus von Rotterdam waren aus den Bibliotheken
verbannt. Es war darum konsequent, dass seit Hugo Grotius’ 1625 zum ersten
Mal gedruckten De iure belli ac pacis libri tres die einschlägigen Werke zum Natur- und
Völkerrecht für lange Zeit aus der Feder protestantischer Autoren kamen.
Die problematischen Folgen der Aufwertung der weltlichen Obrigkeit
gegenüber kirchlicher Bevormundung, welche die Reformation vorgenommen
hatte, zeigten sich angesichts der Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Zuerst einmal hat
sich aber die Förderung der am römischen und nicht am kanonischen Recht ausge-
richteten Rechtswissenschaften positiv auf die Entwicklung der juristischen Fakul-
täten in protestantischen Territorien ausgewirkt. Weil diese wiederum eine Schlüs-
selrolle bei der Ausbildung der modernen Universität spielten, hatte das erhebliche
Folgen für die Universitätsentwicklung insgesamt.
 
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