Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2012 — 2013

DOI chapter:
I. Das Geschäftsjahr 2012
DOI article:
Meyer-Lindenberg, Andreas: Psychische Gesundheit in modernen Lebenswelten
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55656#0091
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
110

SITZUNGEN

Annahme und liefern zudem Hinweise auf die zugrundeliegenden neuronalen
Mechanismen[13], In diesen Experimenten [13] wurde mittels funktioneller Magnet-
resonanztomographie festgestellt, dass gesunde, städtisch aufgewachsene Personen im
Vergleich zu ländlich Aufgewachsenen eine stärkere Aktivierung des perigenualen
anterioren cingulären Cortex (pACC) aufweisen, während sie kognitiv anspruchs-
volle Aufgaben unter strenger sozialer Bewertung und missbilligender Rückmeldung
bearbeiteten (soziale Stressinduktion. Das Aktivierungsverhalten dieser Region folgt
einer linearen Dosis-Antwort-Funktion, mit ansteigender pACC Aktivierung in
Abhängigkeit vom individuellen Grad des städtischen Aufwachsens. Auch unter der
statistischen Berücksichtigung mehrerer potentiell konfundierter Variablen wie Alter,
Bildungsgrad, Einkommen, Familienstand, Erleben aktueller sozialer Unterstützung,
Aspekte der Persönlichkeit und der psychischen Gesundheit erwiesen sich die
genannten Ergebnisse als robust. Zudem scheint der beschriebene Effekt spezifisch
durch die soziale Stress-Komponente der beiden eingesetzten Paradigmen provoziert
zu sein: In einer dritten Stichprobe, die kognitive Aufgaben ohne soziale Stress-
induktion bearbeitete, zeigte sich keine Korrelationen zwischen pACC-Aktivierung
und städtischem Aufwachsen.
Für den zugrundeliegenden Mechanismus müssen neben rein umweltbezoge-
nen auch epigenetische Wirkmechanismen, also Veränderungen der genetischen
Transkription durch Umweltfaktoren bei unverändertem Genom wie z. B. Verände-
rungen der DNA-Methylierung [14], in Betracht gezogen werden. Dies erscheint
vor allem auch deswegen sinnvoll, da wiederholt überzeugende epigenetische Be-
funde im Zusammenhang mit sozialen Stresserfahrungen berichtet wurden. So
wurde in Ratten und Menschen gezeigt, dass frühe mütterliche Vernachlässigung
eine langanhaltende Veränderung der Genexpression des Glukokortikoidrezeptors
nach sich zieht, woraus eine übermäßige HHNA-Aktivität resultiert [15, 16], Das
Vulnerabilitätsmodell der Urbanizität ist also um die Möglichkeit epigenetischer
Wirkmechanismen durch Erfahrungen in der urbanen Umwelt auf die genetische
Transkription zu erweitern. Gemäß dem etablierten Vulnerabilität-Stress-Modell
würde diese Vulnerabilität in Kombination mit späteren Stressoren die Manifestation
der Erkrankung auslösen.
Ausgehend von der Annahme, dass interindividuelle Unterschiede in der sozia-
len Stressverarbeitung dem Urbanizitätseffekt zugrunde liegen, schließt sich die
Frage an, worin die tatsächlichen Unterschiede zwischen Städten und ländlichen
Gegenden bestehen, welche die soziale Stressverarbeitung beeinflussen. Bisher wurde
zum Beispiel soziales Kapital, gekennzeichnet durch gegenseitiges Vertrauen, Sicher-
heit und Bindung, aufgrund seiner günstigen Wirkung auf die psychische Gesund-
heit von Kindern als risikosenkende Wirkkomponente diskutiert (38). Da diese Fak-
toren eine augenscheinlich valide Verbindung zu sozialem Stress aufweisen, lassen sie
sich gut in das hier dargestellte Modell einbeziehen. Prinzipiell sind aber auch eine
Vielzahl anderer Faktoren, die mit dem Stadtleben assoziiert sind, wie Grünflächen,
Lärm- und Lichtbelastung, oder auch Toxine als Komponenten des Risikos denkbar.
Eine weiterführende systematische Untersuchung potentieller Uniweltfaktoren ist
also notwendig, um das noch bruchstückhafte ätiologische Modell der Schizophre-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften