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ANTRITTSREDEN
Direkt nach der Promotion konnte ich auf eine Assistentenstelle in die Ham-
burger Zellbiologie wechseln und vier Jahre später habilitieren. Sechs Jahre nach der
Promotion hatte ich die Wahl zwischen einer Professur auf Lebenszeit in Oslo und
einem befristeten Heisenbergstipendium in Freiburg. Ich ging nach Freiburg, immer
noch von dem Gedanken getragen: „Wenn es schief geht, werde ich Lehrer“.
In der Tat wurden die Ratschläge etablierter Kollegen, endlich das Unter-
suchungsobjekt zu wechseln und mich in den mainstream zu begeben, drängender.
Eine breitere wissenschaftliche Anerkennung kam erst, als wir 1998, vierzehnJahre
nach meiner Examensarbeit, zeigten, dass man im Moos Gene gezielt ausschalten
kann — so effizient wie sonst nur in der Hefe — und diese knockout-Moose für die
Identifizierung von Genfunktionen nutzbar machten. Diese so genannte Reverse
Genetik war erstmals ein weithin anerkannter Vorteil des Mooses gegenüber allen
anderen Pflanzen.
Interessanterweise reagierte die Industrie schneller als das wissenschaftliche
Establishment: BASF investierte in ein klar definiertes Projekt zur funktionellen
Moosgenomik einen zweistelligen Millionenbetrag — den nach ihren Aussagen größ-
ten Betrag, den sie weltweit jemals in einen einzelnen Forscher investierten.
Es folgten Rufe verschiedener Universitäten — ich entschied mich, das Frei-
burger Angebot — einen komplett neu geschaffenen Lehrstuhl für Pflanzenbiotech-
nologie — anzunehmen. Sie können sich vorstellen, dass solch ein substantieller Bei-
trag des Ministeriums kaum möglich gewesen wäre ohne das gewichtige Wort von
Hans Mohr in Stuttgart. In der Entscheidungsphase zwischen den verschiedenen
Angeboten stand mir Herr Mohr immer mit seinem Rat und seiner großen Erfah-
rung zur Seite, ohne mich zur Annahme des Freiburger Angebotes überreden zu
wollen. Hierfür danke ich ihm ausdrücklich.
Im selben Jahr — 1999 — gründete ich mit Gunther Neuhaus eine Firma, die
greenovation Biotechnologie GmbH, die es nach zahlreichen Finanzierungsrunden
heute noch gibt und die sich auf die Herstellung therapeutischer humaner Proteine
im Moosbioreaktor spezialisierte.
Uber Jahre versuchte ich, in Europa Geld für die Entschlüsselung des Moos-
genoms aufzutreiben. Vergebens. Finanzierungen dieser Größenordnung sind hier
nicht vorgesehen. Unproblematisch unbürokratisch ging es in den USA — allerdings
zu dem Preis, dass das Antragskonsortium aus fünf Kollegen von zwei US-Amerika-
nern angeführt werden musste.
Wir konnten die Erbsubstanz entschlüsseln — die 500 Millionen Basenpaare des
Mooses kodieren für deutlich mehr Gene als das menschliche Genom, so dass man
sich schon fragen darf, welche der beiden Spezies die höher entwickelte ist — Moos
oder Mensch.
Die Veröffentlichung des Moosgenoms im Jahre 2008 — 24 Jahre nach meiner
Examensarbeit — markiert einen zweiten Durchbruch — es war das erste sequenzierte
Genom einer Niederen Pflanze und ermöglicht Einblicke über eine evolutionäre
Distanz von 500 Millionen Jahren. Zu dieser Zeit lebte der letzte gemeinsame Vor-
fahre von Moos und Blütenpflanzen und der letzte gemeinsame Vorfahre von
Mensch und Fisch. Das Moos „sah“ die Dinosaurier kommen und gehen und blieb
ANTRITTSREDEN
Direkt nach der Promotion konnte ich auf eine Assistentenstelle in die Ham-
burger Zellbiologie wechseln und vier Jahre später habilitieren. Sechs Jahre nach der
Promotion hatte ich die Wahl zwischen einer Professur auf Lebenszeit in Oslo und
einem befristeten Heisenbergstipendium in Freiburg. Ich ging nach Freiburg, immer
noch von dem Gedanken getragen: „Wenn es schief geht, werde ich Lehrer“.
In der Tat wurden die Ratschläge etablierter Kollegen, endlich das Unter-
suchungsobjekt zu wechseln und mich in den mainstream zu begeben, drängender.
Eine breitere wissenschaftliche Anerkennung kam erst, als wir 1998, vierzehnJahre
nach meiner Examensarbeit, zeigten, dass man im Moos Gene gezielt ausschalten
kann — so effizient wie sonst nur in der Hefe — und diese knockout-Moose für die
Identifizierung von Genfunktionen nutzbar machten. Diese so genannte Reverse
Genetik war erstmals ein weithin anerkannter Vorteil des Mooses gegenüber allen
anderen Pflanzen.
Interessanterweise reagierte die Industrie schneller als das wissenschaftliche
Establishment: BASF investierte in ein klar definiertes Projekt zur funktionellen
Moosgenomik einen zweistelligen Millionenbetrag — den nach ihren Aussagen größ-
ten Betrag, den sie weltweit jemals in einen einzelnen Forscher investierten.
Es folgten Rufe verschiedener Universitäten — ich entschied mich, das Frei-
burger Angebot — einen komplett neu geschaffenen Lehrstuhl für Pflanzenbiotech-
nologie — anzunehmen. Sie können sich vorstellen, dass solch ein substantieller Bei-
trag des Ministeriums kaum möglich gewesen wäre ohne das gewichtige Wort von
Hans Mohr in Stuttgart. In der Entscheidungsphase zwischen den verschiedenen
Angeboten stand mir Herr Mohr immer mit seinem Rat und seiner großen Erfah-
rung zur Seite, ohne mich zur Annahme des Freiburger Angebotes überreden zu
wollen. Hierfür danke ich ihm ausdrücklich.
Im selben Jahr — 1999 — gründete ich mit Gunther Neuhaus eine Firma, die
greenovation Biotechnologie GmbH, die es nach zahlreichen Finanzierungsrunden
heute noch gibt und die sich auf die Herstellung therapeutischer humaner Proteine
im Moosbioreaktor spezialisierte.
Uber Jahre versuchte ich, in Europa Geld für die Entschlüsselung des Moos-
genoms aufzutreiben. Vergebens. Finanzierungen dieser Größenordnung sind hier
nicht vorgesehen. Unproblematisch unbürokratisch ging es in den USA — allerdings
zu dem Preis, dass das Antragskonsortium aus fünf Kollegen von zwei US-Amerika-
nern angeführt werden musste.
Wir konnten die Erbsubstanz entschlüsseln — die 500 Millionen Basenpaare des
Mooses kodieren für deutlich mehr Gene als das menschliche Genom, so dass man
sich schon fragen darf, welche der beiden Spezies die höher entwickelte ist — Moos
oder Mensch.
Die Veröffentlichung des Moosgenoms im Jahre 2008 — 24 Jahre nach meiner
Examensarbeit — markiert einen zweiten Durchbruch — es war das erste sequenzierte
Genom einer Niederen Pflanze und ermöglicht Einblicke über eine evolutionäre
Distanz von 500 Millionen Jahren. Zu dieser Zeit lebte der letzte gemeinsame Vor-
fahre von Moos und Blütenpflanzen und der letzte gemeinsame Vorfahre von
Mensch und Fisch. Das Moos „sah“ die Dinosaurier kommen und gehen und blieb