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ANTRITTSREDEN
sam, dass der Einfluss des Neuplatonismus auf Hegel dringend aufgearbeitet werden
müsse. Bei meiner Beschäftigung mit Hegel entdeckte ich, dass Hegel in der forma-
tiven Phase seiner intellektuellen Entwicklung, in den religionsphilosophischen
Jugendschriften und den folgenden ersten Systementwürfen, die entscheidenden Anre-
gungen neuplatonischen Quellen verdankt. Ich weitete mein Thema aus und unter-
suchte Hegels explizite Deutung der Neuplatoniker in seinen Vorlesungen über die
Geschichte der Philosophie und anhand dieser Deutung dann die systematischen
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Hegels absolutem Idealismus und der
neuplatonischen Metaphysik. Die Übereinstimmungen gerade in den systemtragen-
den Grundlagen sind verblüffend. Plakativ formuliert, lässt sich Hegels Idealismus als
Reformulierung der neuplatonischen Geistmetaphysik auf subjektphilosophischer,
also moderner Grundlage verstehen.
Im Winter 1995/96 war ich habilitiert. Ich hatte wieder Glück, denn meine
Assistentstelle wurde in eine Oberassistentur umgewandelt und ich erhielt ein
Heisenberg-Stipendium der DFG, so dass ich mich gut abgesichert umtun konnte.
Ich vertrat den Münchener Lehrstuhl von Werner Beierwaltes, dem Nestor der Neu-
platonismusforschung, dem ich Vieles verdanke, und verbrachte ein anregendes
Forschungssemester in Tübingen. Nach vier Erstplazierungen — von denen zwei
nicht zu einem Ruf führten, beide in NPW — konnte ich 1999 zwischen zwei der
besten deutschen Universitäten wählen: München und Heidelberg. Die Entschei-
dung für Heidelberg bedeutete wiederum eine Ausweitung meines philosophischen
Horizonts. Hier gibt es — seit Hegel, forciert von Hans-Georg Gadamer und Dieter
Henrich — eine Tradition, die bewusst nicht trennt zwischen Philosophiegeschichte
und systematischer Philosophie.
Die Fragen, die mich zur Philosophie gebracht hatten, waren systematische
FragemWas ist die wahre Realität und in welchem Verhältnis steht sie zum Denken?
Was ist Geist, was Seele? Nehmen wir unsere sinnlichen Erfahrungen oder die apri-
orischen Inhalte unseres Denkens zum Maßstab dessen, was wir für wirklich halten?
Wieso ist unser Selbstbewusstsein für unser Wissen von der Welt fundamental? Was
ist Gott? Wie kann man Transzendenz — das „Jenseits des Seins“ - denken? — Wie Sie
sehen, sind das alles metaphysische Fragen. Ich bin davon überzeugt, dass sie weder
obsolet noch unbeantwortbar sind. Aber ich bin ebenso davon überzeugt, dass sie
sich nur im Rückgriff auf die Geschichte der Metaphysik angemessen und unverkürzt
thematisieren lassen. Dafür scheinen mir historische Kontinuitäten besonders auf-
schlussreich zu sein. Die Einsicht, dass der Neuplatonismus der legitime Erbe Platons
und seines größten Schülers Aristoteles ist, die Entdeckung der grundlegenden
Gemeinsamkeiten zwischen dem Neuplatonismus und dem deutschen Idealismus,
die Kontinuität der platonischen Tradition im Mittelalter, in dem Denker wie Eriu-
gena, Eckhart und Cusanus den Neuplatonismus so weiterentwickeln, dass sie dabei
wesentliche Einsichten von Fichte, Schelling und Hegel vorwegnehmen — all das
bedeutet doch, dass die Geschichte der Metaphysik gar nicht der Kampfplatz sich
gegenseitig bestreitender Schuldogmen ist, wie Kant gemeint hatte.Vielmehr sehen
wir, wie sich grundlegende Einsichten durchhalten und wie sie von verschiedenen
Ausgangspunkten aus entfaltet und so weiterentwickelt werden können, dass sie
ANTRITTSREDEN
sam, dass der Einfluss des Neuplatonismus auf Hegel dringend aufgearbeitet werden
müsse. Bei meiner Beschäftigung mit Hegel entdeckte ich, dass Hegel in der forma-
tiven Phase seiner intellektuellen Entwicklung, in den religionsphilosophischen
Jugendschriften und den folgenden ersten Systementwürfen, die entscheidenden Anre-
gungen neuplatonischen Quellen verdankt. Ich weitete mein Thema aus und unter-
suchte Hegels explizite Deutung der Neuplatoniker in seinen Vorlesungen über die
Geschichte der Philosophie und anhand dieser Deutung dann die systematischen
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Hegels absolutem Idealismus und der
neuplatonischen Metaphysik. Die Übereinstimmungen gerade in den systemtragen-
den Grundlagen sind verblüffend. Plakativ formuliert, lässt sich Hegels Idealismus als
Reformulierung der neuplatonischen Geistmetaphysik auf subjektphilosophischer,
also moderner Grundlage verstehen.
Im Winter 1995/96 war ich habilitiert. Ich hatte wieder Glück, denn meine
Assistentstelle wurde in eine Oberassistentur umgewandelt und ich erhielt ein
Heisenberg-Stipendium der DFG, so dass ich mich gut abgesichert umtun konnte.
Ich vertrat den Münchener Lehrstuhl von Werner Beierwaltes, dem Nestor der Neu-
platonismusforschung, dem ich Vieles verdanke, und verbrachte ein anregendes
Forschungssemester in Tübingen. Nach vier Erstplazierungen — von denen zwei
nicht zu einem Ruf führten, beide in NPW — konnte ich 1999 zwischen zwei der
besten deutschen Universitäten wählen: München und Heidelberg. Die Entschei-
dung für Heidelberg bedeutete wiederum eine Ausweitung meines philosophischen
Horizonts. Hier gibt es — seit Hegel, forciert von Hans-Georg Gadamer und Dieter
Henrich — eine Tradition, die bewusst nicht trennt zwischen Philosophiegeschichte
und systematischer Philosophie.
Die Fragen, die mich zur Philosophie gebracht hatten, waren systematische
FragemWas ist die wahre Realität und in welchem Verhältnis steht sie zum Denken?
Was ist Geist, was Seele? Nehmen wir unsere sinnlichen Erfahrungen oder die apri-
orischen Inhalte unseres Denkens zum Maßstab dessen, was wir für wirklich halten?
Wieso ist unser Selbstbewusstsein für unser Wissen von der Welt fundamental? Was
ist Gott? Wie kann man Transzendenz — das „Jenseits des Seins“ - denken? — Wie Sie
sehen, sind das alles metaphysische Fragen. Ich bin davon überzeugt, dass sie weder
obsolet noch unbeantwortbar sind. Aber ich bin ebenso davon überzeugt, dass sie
sich nur im Rückgriff auf die Geschichte der Metaphysik angemessen und unverkürzt
thematisieren lassen. Dafür scheinen mir historische Kontinuitäten besonders auf-
schlussreich zu sein. Die Einsicht, dass der Neuplatonismus der legitime Erbe Platons
und seines größten Schülers Aristoteles ist, die Entdeckung der grundlegenden
Gemeinsamkeiten zwischen dem Neuplatonismus und dem deutschen Idealismus,
die Kontinuität der platonischen Tradition im Mittelalter, in dem Denker wie Eriu-
gena, Eckhart und Cusanus den Neuplatonismus so weiterentwickeln, dass sie dabei
wesentliche Einsichten von Fichte, Schelling und Hegel vorwegnehmen — all das
bedeutet doch, dass die Geschichte der Metaphysik gar nicht der Kampfplatz sich
gegenseitig bestreitender Schuldogmen ist, wie Kant gemeint hatte.Vielmehr sehen
wir, wie sich grundlegende Einsichten durchhalten und wie sie von verschiedenen
Ausgangspunkten aus entfaltet und so weiterentwickelt werden können, dass sie