Volker Leppin
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Darin äußert sich aber auch, dass ich irgendwann neben dem schon früh ange-
legten und im Germanistikstudium weitergepflegten Mittelalter auch die Reforma-
tion für mich entdeckt habe. Es ist keine gezwungene Verbeugung vor diesem Ort
und dieser Akademie, wenn ich sage, dass ich dies meinen Jahren in Heidelberg ver-
danke, und da vor allem meinem Lehrer Gottfried Seebaß, der unserer Akademie
lange Jahre als Sekretär und Präsident gedient und in vielen ihrer Kommissionen
mitgewirkt hat. Es ist für einen Historiker fragwürdig, wenn er etwas als legendär
bezeichnet, aber genau das waren die Vorlesungen von Seebaß, besonders seine große
Luther-Vorlesung, und diese Legenden haben den Vorzug, vollauf berechtigt zu sein.
Hier hat mich die Begeisterung für Kirchengeschichte und Reformationsgeschich-
te gepackt.
Und die Generosität von Gottfried Seebaß gab mir die Möglichkeit, beide
Vorlieben auszuleben: mit meiner Dissertation über Wilhelm von Ockham blieb ich
im Mittelalter, bei einem ausgefeilten scholastischen System des 14. Jahrhunderts, die
Habilitationsschrift über Apokalyptik im Luthertum lag dann im Bereich der Refor-
mationsgeschichte.
Der Weg führte dann rasch von Heidelberg fort: über eine Vertretungsprofessur
in Frankfurt nach Jena. Von 2000 bis 2010 war ich dort als Kirchenhistoriker tätig —
in einer Zeit, in der an dieser Universität die Pionierphase des Wideraufbaus nach
1989 schon nur noch in den Heldengeschichten der Erstberufenen nachbebte, aber
doch die Besonderheit einer akademischen Gemeinschaft zu spüren war, in der nicht
zählte, was schon immer war, sondern man stets bereit war, Neues auszuprobieren,
dies noch dazu in einer selbstverständlich interdisziplinären Gemeinschaft, wie ich
sie seinerzeit an anderen Universitäten noch nicht unbedingt beobachten konnte.
Die Aufbruchsstimmung war auch im Jahr 2000 noch enorm hoch, das Tempo aller-
dings auch.
Fachlich bedeutete die Zeit eine intensive Konzentration auf die Reforma-
tionsgeschichte. Jena besitzt die alte kurfürstliche Wittenberger Bibliothek, in den
letzten Jahren konnte ich dort ein Projekt leiten, das die Mitschriften von Luthers
Sekretär Georg Rörer erschlossen hat, mit der zuvor nur wenige Spezialisten wie
unser Mitglied Eike Wolgast vertraut waren. Auch als Reformationshistoriker konn-
te ich aber vom Mittelalter nicht lassen — und das führte zu dem Buch, über das
momentan in Theologie und allgemeiner Geschichte wohl am meisten mein fach-
liches Profil positiv oder negativ bestimmt wird: eine Biographie Martin Luthers, die
eine doppelte Stoßrichtung hatte. Methodisch ging es mir darum, die Notwendig-
keit eines kritischen Umgangs mit Luthers Erinnerungen und Selbststilisierungen
hervorzuheben und das von ihm produzierte Selbstimage zu unterlaufen. Dem ging
inhaltlich eine starke Betonung der mittelalterlichen Wurzeln Martin Luthers paral-
lel. Als entscheidende Wurzeln seines reformatorischen Wirkens meinte und meine
ich Mystik und Frömmigkeitstheologie des späten Mittelalters ausmachen zu kön-
nen. Das Buch hat höhere und lautere Wellen geschlagen als beabsichtigt — das hat
den Vorteil, dass ich von seinen Fragestellungen bis heute nicht loskomme. Wenn
Kritiken ein Gutes haben, so dass sie uns darauf hinweisen, dass mit unseren Büchern
keine fertigen Antworten vorliegen, sondern immer nur perspektivische Annähe-
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Darin äußert sich aber auch, dass ich irgendwann neben dem schon früh ange-
legten und im Germanistikstudium weitergepflegten Mittelalter auch die Reforma-
tion für mich entdeckt habe. Es ist keine gezwungene Verbeugung vor diesem Ort
und dieser Akademie, wenn ich sage, dass ich dies meinen Jahren in Heidelberg ver-
danke, und da vor allem meinem Lehrer Gottfried Seebaß, der unserer Akademie
lange Jahre als Sekretär und Präsident gedient und in vielen ihrer Kommissionen
mitgewirkt hat. Es ist für einen Historiker fragwürdig, wenn er etwas als legendär
bezeichnet, aber genau das waren die Vorlesungen von Seebaß, besonders seine große
Luther-Vorlesung, und diese Legenden haben den Vorzug, vollauf berechtigt zu sein.
Hier hat mich die Begeisterung für Kirchengeschichte und Reformationsgeschich-
te gepackt.
Und die Generosität von Gottfried Seebaß gab mir die Möglichkeit, beide
Vorlieben auszuleben: mit meiner Dissertation über Wilhelm von Ockham blieb ich
im Mittelalter, bei einem ausgefeilten scholastischen System des 14. Jahrhunderts, die
Habilitationsschrift über Apokalyptik im Luthertum lag dann im Bereich der Refor-
mationsgeschichte.
Der Weg führte dann rasch von Heidelberg fort: über eine Vertretungsprofessur
in Frankfurt nach Jena. Von 2000 bis 2010 war ich dort als Kirchenhistoriker tätig —
in einer Zeit, in der an dieser Universität die Pionierphase des Wideraufbaus nach
1989 schon nur noch in den Heldengeschichten der Erstberufenen nachbebte, aber
doch die Besonderheit einer akademischen Gemeinschaft zu spüren war, in der nicht
zählte, was schon immer war, sondern man stets bereit war, Neues auszuprobieren,
dies noch dazu in einer selbstverständlich interdisziplinären Gemeinschaft, wie ich
sie seinerzeit an anderen Universitäten noch nicht unbedingt beobachten konnte.
Die Aufbruchsstimmung war auch im Jahr 2000 noch enorm hoch, das Tempo aller-
dings auch.
Fachlich bedeutete die Zeit eine intensive Konzentration auf die Reforma-
tionsgeschichte. Jena besitzt die alte kurfürstliche Wittenberger Bibliothek, in den
letzten Jahren konnte ich dort ein Projekt leiten, das die Mitschriften von Luthers
Sekretär Georg Rörer erschlossen hat, mit der zuvor nur wenige Spezialisten wie
unser Mitglied Eike Wolgast vertraut waren. Auch als Reformationshistoriker konn-
te ich aber vom Mittelalter nicht lassen — und das führte zu dem Buch, über das
momentan in Theologie und allgemeiner Geschichte wohl am meisten mein fach-
liches Profil positiv oder negativ bestimmt wird: eine Biographie Martin Luthers, die
eine doppelte Stoßrichtung hatte. Methodisch ging es mir darum, die Notwendig-
keit eines kritischen Umgangs mit Luthers Erinnerungen und Selbststilisierungen
hervorzuheben und das von ihm produzierte Selbstimage zu unterlaufen. Dem ging
inhaltlich eine starke Betonung der mittelalterlichen Wurzeln Martin Luthers paral-
lel. Als entscheidende Wurzeln seines reformatorischen Wirkens meinte und meine
ich Mystik und Frömmigkeitstheologie des späten Mittelalters ausmachen zu kön-
nen. Das Buch hat höhere und lautere Wellen geschlagen als beabsichtigt — das hat
den Vorteil, dass ich von seinen Fragestellungen bis heute nicht loskomme. Wenn
Kritiken ein Gutes haben, so dass sie uns darauf hinweisen, dass mit unseren Büchern
keine fertigen Antworten vorliegen, sondern immer nur perspektivische Annähe-