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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2020 — 2021

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2020
DOI Kapitel:
I. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Maienborn, Claudia: Von katholischen Kirchenoberhäuptern, ambulanten Versorgungsaufträgen und vierstöckigen Hausbesitzern: Auflösung eines grammatischen Trugbildes: Gesamtsitzung am 18. Juli 2020
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https://doi.org/10.11588/diglit.61621#0041
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Claudia Maienborn

Als Evidenz für meine These will ich aufführen, dass der Ausdruck besser be-
wertet wird, wenn mit weiterem Sprachmaterial einige der Lücken gefüllt werden;
s. die Beispiele in (10).
(10) ambulanter {Medikamenten-, Patienten-, medizinischer, Kaffee-{Versor-
gungsauftrag
Wenn das Kopfnomen Auftrag ersetzt wird durch ein Nomen, das weniger zusätz-
liche Argumentpositionen eröffnet, verbessert sich das Ergebnis ebenfalls; s. die
Beispiele in (11).
(11) ambulante/r/s Versorgungs-{vertrag, dienst, gesetz, krise, Zentrum, Strategie,
netz, lücke, ...}
Und schließlich ist es instruktiv, sich die Verwendungskontexte anzuschauen,
in denen der Ausdruck ambulanter Versorgungsauftrag tatsächlich auftritt. Interes-
santerweise handelt es sich dabei zumeist um hochoffizielle Texte: Fachartikel,
Informationsbroschüren, sogar juristische Texte. Ein Beispiel ist in (12) ange-
geben.
(12) Im Gegensatz zu internationalen Standards obliegt deutschen Kinderkliniken
nur die stationäre Behandlung von Kindern und Jugendlichen, weil der am-
bulante Versorgungsauftrag grundsätzlich der KV zusteht.
[Koch & Kudlich (2017, Hrsg.): Ökonomie, medizinische Standards und
rechtliche Haftung; S. 60]
Hier werden die verbliebenen Informationslücken weitestgehend durch den Kon-
text gefüllt. In einem solchen unterstützenden Kontext, der die Lücken schließt,
kann der Ausdruck ambulanter Versorgungsauftrag seine Konzeptbenennungsfunktion
erfüllen. Das heißt der Eisbergunterbau wird wieder dichter und die Gefahr des
Eisbergkollaps ist gebannt.
Was tun mit Klammerparadoxien? Wie umgehen mit offenbar widersprüch-
lichen Strukturzuordnungen zwischen Morphosyntax und Semantik bei der
Verbindung von Adjektiven mit NN-Komposita? Dies war die Ausgangsfrage-
stellung des vorliegenden Beitrags. Die hier gelieferte Antwort lautet: Es gibt sie
nicht. Klammerparadoxien sind ein grammatisches Trugbild, das sich auflöst, so-
bald Grammatik und Pragmatik in ihrem Zusammenwirken erfasst werden. Bei
dem Eindruck, dass sich das Adjektiv entgegen den Vorgaben der Morphosyntax
semantisch unmittelbar auf den Nicht-Kopf des Kompositums bezieht, handelt
es sich um eine kombinatorische Illusion. Vielmehr knüpft das Adjektiv in allen
Fällen ganz regulär an den durch den Kopf eingebrachten Referenten des Gesamt-
kompositums an und liefert darüber eine zusätzliche Prädikation. Erst im Zuge
pragmatisch getriebener konzeptueller Spezifikationen kommt es zu Schlussfol-
gerungen im Hinblick auf den Nicht-Kopf. Die hier untersuchten Klammerpara-

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