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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2020 — 2021

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2020
DOI Kapitel:
I. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Dabringhaus, Sabine: Das spätkaiserliche Imperium in China: Eine Forschungsdebatte: Sitzung der Philosophisch-historischen Klasse am 27. November 2020
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.61621#0059
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Sabine Dabringhaus

Zeit, als die viel jüngeren Imperien Großbritannien und Russland ihre Positionen
in Asien kräftig zu stärken begannen. Es hatte sich gut gehalten. Während europä-
ische Beobachter seit dem frühen 19. Jahrhundert - und nicht ohne Grund - in
China nur noch einen Schatten früherer Größe sahen, hatte im 18. Jahrhundert
niemand gezögert, das Kaiserreich als „Imperium“ zu betrachten, als dynamischen
und gut organisierten player auf der Höhe der Epoche, keineswegs ein „Auslauf-
modell“.
Im Rückblick lässt sich dieses Jahrhundert als Blütezeit des Qing-Reiches be-
zeichnen. Dafür sprechen einige Grundtatsachen: Erstens ging die blutige Phase
der jahrzehntelangen Machteroberung um 1680 in eine lange Periode des inne-
ren Friedens über, die schon von den staunenden und neidvollen europäischen
Zeitgenossen als „Pax tatarica“ gerühmt wurde. Zweitens wurden gleichzeitig in
Innerasien weiterhin Kriege geführt, die vor allem zur dauerhaften Unterwerfung
der verschiedenen mongolischen Völker führten. Drittens war das Sino-mandschu-
rische Imperium ein Vielvölkerreich und wurde von seiner Machtelite auch als
solches verstanden. Viertens setzte sich das Qing-Imperium aus unterschiedlichen
geopolitischen Räumen zusammen, die auf je besondere Weise regiert wurden.
Die zweigleisige Instrumentalisierung von Herrschaftstraditionen einerseits aus
Chinas reicher dynastischer Geschichte, andererseits aus dem innerasiatischen Er-
be des mongolischen Weltreichs des 13. Jahrhunderts prägte die hybride imperia-
le Ordnung des 18. Jahrhunderts. Fünftens ließen die mandschurischen Eroberer
den tradierten Verwaltungsapparat intakt und führten ihn durch Reformen auf die
Spitze seiner Leistungsfähigkeit. Im weltweiten Vergleich war China in den mittle-
ren Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts ein Modell von good govemance.
Sechstens gibt es aus keiner anderen Dynastie der chinesischen Geschichte ei-
ne größere Menge an Quellenmaterial: Über 10 Millionen Dokumente befinden
sich in den Zentralarchiven, etwa 10 Millionen in Provinz- und Lokalarchiven.
Die chinesischen Sammlungen wurden teilweise erst in den 1980er Jahren ge-
öffnet. Die Qing-Zeit ist überdies die erste Epoche der chinesischen Geschichte,
für die europäische Quellen vorhanden sind. Sie stammen von Missionaren und
Diplomaten, Kaufleuten und Forschungsreisenden. Zunehmend wichtig für die
Qing-Forschung sind Quellen in nicht-chinesischen Sprachen. Viel umfänglicher
als früher werden heute auch mandschurische, mongolische, tibetische oder uigu-
rische Materialien einbezogen. All diese reiche Dokumentation steht im Prinzip
einer internationalen scientific community frei zur Verfügung, auch wenn der Zugang
zu chinesischen Archiven inzwischen unberechenbar geworden ist.
Dennoch fanden in China wie im Ausland zunächst die früheren Dynasti-
en viel mehr Aufmerksamkeit als die Qing. Für sinologische Puristen im Westen
war eine von Mandschuren regierte Kultur unauthentisch, nicht eindeutig „chine-
sisch“ genug und überhaupt ein kultureller Abstieg von den Höhen der Klassik.
Chinesische Gelehrte sahen es ähnlich. Sie fanden sich nie damit ab, dass China

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