Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2020 — 2021

DOI Kapitel:
B. Die Mitglieder
DOI Kapitel:
I. Antrittsreden
DOI Artikel:
Schölkopf, Bernhard: Bernhard Schölkopf: Antrittsrede vom 28. November 2020
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.61621#0085
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Antrittsrede von Bernhard Schölkopf

Lektüre der ZEIT erwirbt. Was ich in dem Moment besser für mich behielt, war,
dass ich noch nie im Leben die ZEIT gelesen hatte.
Ich wurde ein paar Jahre später doch noch aufgenommen, nach dem Mathe-
matik-Vordiplom. Dies sollte meinen Weg stark prägen.
Studiert habe ich Physik, Mathematik, später noch etwas Philosophie in Tü-
bingen und London. Mein akademisches Interesse hat sich im Laufe des Studiums
von der Astronomie zur theoretischen Physik und Mathematik verlagert. Schließ-
lich machte ich meinen Abschluss in Mathematik in London mit einer Arbeit zum
Messprozess in der algebraischen Quantentheorie.
Der kritische Anstoß zu einer wesentlichen Veränderung kam aus einem ganz
anderen Feld. Ich schloss mich einer Sozietät am Institut für praktische Theolo-
gie an, wo in bunter Zusammensetzung Konstruktivismus, Konnektionismus und
künstliche Intelligenz diskutiert wurden. Ein weiterer Zufall wollte es, dass ich
von einem Workshop zum Machschen Prinzip in der Kosmologie erfuhr, den der
Tübinger Physiker Herbert Pfister im Hörsaal des Max-Planck-Campus veran-
staltete. Von dort war der Weg nicht weit an das Max-Planck-Institut (MPI) für
biologische Kybernetik, wo ich meine Diplomarbeit im Bereich der neuronalen
Netzwerke schrieb.
Das MPI war zentral für den nächsten kritischen Punkt. Es gab ein Programm
der Studienstiftung für Physik-Praktika bei den Bell Labs in New Jersey. Axel
Borst, seinerzeit Gruppenleiter am Nachbarinstitut, berichtete mir von seinen Er-
fahrungen dort, und Heinrich Bülthoff empfahl mir insbesondere Vladimir Vap-
nik, von dem er über Tommy Poggio gehört hatte. Das Problem war, dass Vapnik
kein Physiker war, sondern ein russischer Statistiker — an den Bell Labs fast schon
ein Fremdkörper. Meine Bewerbung blieb zunächst ohne Erfolg. Nach ein paar
Monaten kam die Rückmeldung: „Ihre Bewerbung war wohl zu theoretisch.“ Mir
war klar, dass ich selber schuld war, hatte man mir doch vor der Bewerbung ge-
raten, mein Philosophiestudium besser nicht zu eiwähnen. Daran hatte ich mich
aber, etwas widerspenstig, nicht gehalten. Als ich die Sache schon abgeschrieben
hatte, bekam ich eine E-Mail direkt von Vapnik, die mit folgenden Worten begann:
„I like that you study both philosophy and math.“ In der E-Mail stand dann auch
noch: „You will study my new book. [... ] we will decide what can be theme of you
thesis.“ (Obwohl es ja eigentlich zunächst nur um ein Praktikum ging). Tatsächlich
sollte Vapnik mein Doktorvater werden.
Es folgten drei Jahre Forschung zwischen Bell Labs und Deutschland an einer
Klasse von Lernalgorithmen, die als Support-Vektor-Maschinen (SVMs) bekannt
werden sollten. SVMs entwickelten sich zu einem neuen Paradigma im maschinel-
len Lernen. Durch SVMs rückte das maschinelle Lernen dichter an die Mathema-
tik, Statistik, und Optimierungstheorie.
Das ganze war eine wunderbare Zeit und so auf die Wissenschaft fokussiert,
dass ich mir überhaupt keine Gedanken machte, ob und wie das zu einer Promo-

85
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften