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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2020 — 2021

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B. Die Mitglieder
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II. Nachrufe
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Primavesi, Oliver: Albrecht Dihle: (28. 3. 1923 − 29. 1. 2020)
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Nachruf auf Albrecht Dihle

Nach einem Lazarettaufenthalt kehrte er zu Heiligabend 1941 nach Göttingen
zurück, wo nach wie vor sein Vater und seine inzwischen schwerkranke Mutter
wohnten, und immatrikulierte sich an der dortigen Georg-August-Universität am
2. Januar 1942, gerade noch achtzehnjährig, für Philologie.17 Für die ersten fünf
Semester seines Studiums (WS 41/42 - WS 43/44) blieb er in Göttingen bei seinen
Eltern, doch nach dem Tod seiner Mutter im Januar 1944 wechselte er im Frühjahr
dieses Jahres für sein sechstes und letztes reguläres Semester an die Universität
Freiburg im Breisgau, wo er u. a. Martin Heideggers „Philosophische Übungen für
Kriegsteilnehmer“ belegte. Anschließend ging er nach Göttingen zurück, um die
Staatsexamina abzulegen - seine Staatsexamensarbeit hatte er über die Architektur-
schrift des Vitruvius verfasst18 - und seine Dissertation zu schreiben; im November
1944 verlor er auch seinen Vater. Dihle hat später mit großer Dankbarkeit darauf zu-
rückgeblickt, dass seit der Übersiedelung der Familie nach Göttingen sein Vater, der
nun aller Amtsgeschäfte ledig war, ihm als dem einzigen im Hause verbliebenem
Kind so viel Interesse, Zuwendung und Liebe entgegengebracht hat, „wie sie wohl
wenige Söhne in diesem Alter schon aus äußeren Gründen erhalten können“.19
An der Universität Göttingen war der latinistische Lehrstuhl seit 1940 mit
Hans Drexler (1895—1984) besetzt, dem vielleicht rabiatesten Nationalsozialis-
ten unter Deutschlands Altertumswissenschaftlern, der seit 1941 den Göttinger
NS-Dozentenbund führte und zudem seit 1943 bis zum Kriegsende Rektor der
Universität war.2" Von eben diesem latinistischen Lehrstuhl war im Wintersemes-
ter 1935/36 im Zuge der nationalsozialistischen Judenverfolgung der überragende
Philologe Kurt Latte vertrieben worden, ein Frontkämpfer des 1. Weltkrieges und
Träger des Eisernen Kreuzes zweiter Klasse.21 Den gräzistischen Lehrstuhl hatte
seit 1938 Karl Deichgräber (1903-1984) inne, der einerseits ein vorzüglicher Ken-
ner der griechischen Medizin war, sich aber andererseits dem NS-Regime soweit
angepasst hatte - unter anderem durch seinen Parteieintritt im Jahre 1937 -, dass er
im Dritten Reich in weltanschaulicher Hinsicht als einwandfrei galt und den Krieg
hindurch sogar als Dekan der philosophischen Fakultät amtieren konnte.22 Doch ei-
nen ersten ihn wirklich prägenden Hochschullehrer hat Dihle nicht in Deichgräber

17 Die Daten von Dihles Studium hat uns Dr. Becht-Jördens aus dem in seinem Besitz befind-
lichen Studienbuch Dihles mitgeteilt. Über die Göttinger Altertumswissenschaften in Wei-
marer Republik, Drittem Reich und unmittelbarer Nachkriegszeit orientieren Wegeier 1996
und Dihles material- und gedankenreiche Rezension dieses Buches (Dihle 1997). Wegeier
1996, 254 — 258 gibt eine „Darstellung der Studienbedingungen bis Kriegsende und danach“,
für die sie sich auf ein am 24.10.1983 mit Dihle geführtes dokumentiertes Gespräch stützt.
18 Wegeier 1996, 256. Zu Vitruvius vgl. Dihle 1989, 56 und 166.
19 Dihle, Ms. 1, 4.
20 Wegeier 1996, 244—254.
21 Classen 1989, Wegeier 1996, 112-114 und 172-180; Szabo 2000, 108-113 und 600-602;
Dihle 2005.
22 Wegeier 1996,234-235.

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