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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2020 — 2021

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B. Die Mitglieder
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II. Nachrufe
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Primavesi, Oliver: Albrecht Dihle: (28. 3. 1923 − 29. 1. 2020)
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https://doi.org/10.11588/diglit.61621#0093
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Nachruf auf Albrecht Dihle

von der Konzeption und Niederschrift der Dissertation bis zur mündlichen Dok-
torprüfung fiel in die chaotischen letzten Monate vor Kriegsende und das erste Jahr
der anschließenden Besatzungszeit. So hatte Deichgräber zwar noch das Thema
der Dissertation gestellt, doch nachdem er am 25. Januar 1946 als Parteigenosse in
leitender Stellung von der britischen Militärregierung aus seinem Professorenamt
entlassen worden war,29 arbeitete Dihle sie ohne weitere Beratung alleine aus. Der
noch ungleich exponiertere Nationalsozialist Hans Drexler aber war schon unmit-
telbar nach Kriegsende seines Professorenamtes enthoben worden,30 so dass dessen
Lehrstuhlvorgänger Kurt Latte, der 1935/36 wegen seiner jüdischen Abstammung
aus dem Lehrkörper ausgestoßen worden war und der das Dritte Reich dank der
Unterstützung durch mutige Freunde mit knapper Not im Untergrund überlebt
hatte, bereits zum Wintersemester 1945/46 auf seinen alten Lehrstuhl zurückkeh-
ren konnte (zunächst vertretungsweise, dann auf Dauer).31 Diesem hervorragen-
den Gelehrten war im Frühjahr 1914 als Dreiundzwanzigjährigem, gleich nach
seiner Königsberger Promotion bei Ludwig Deubner, auf Empfehlung Ulrichs
v. Wilamowitz-Moellendorff eine der schwierigsten Aufgaben anvertraut worden,
die die Philologie damals zu bieten hatte, und die denn auch seine Lebensaufgabe
wurde: eine Neuedition des großen Hesychios-Lexikons, die als erste Edition seit
dem 16. Jahrhundert wieder auf der in Venedig befindlichen einzigen Handschrift
beruhen sollte.32 Latte war neben Alfons Maria Schneider der zweite Hochschul-
lehrer, der Dihle nachhaltig geprägt hat. Dihle hat es als großes Glück empfunden,
dass Latte ihm sogleich Vertrauen schenkte und die Begutachtung seiner verwaisten
Dissertation zusagte;33 die Akribie der Anmerkungen, mit denen Latte die bis heute
leider ungedruckte Arbeit versah, ist bewundernswert.34 Aufgrund dieser Arbeit
und der am 2. Juli 1946 bestandenen mündlichen Doktorprüfung wurde Dihle
promoviert; als Berichterstatter fungierte Latte; als Mitberichterstatter Walter F.
Otto, der 1944 als 70jähriger noch aus Königsberg i. Pr. hatte fliehen können und
im Sommer 1946 Deichgräbers ehemaligen Lehrstuhl vertrat.

29 Wegeier 1996, 270.
30 Wegeier 1996, 261-263.
31 Wegeier 1996, 164.
32 Die noch von Latte selbst erarbeiten und 1953 bzw. 1966 erschienenen ersten beiden Bände
wurden lange nach seinem Tode von Peter Allan Hansen und Ian C. Cunningham durch
zwei weitere Bände vervollständigt (Hansen 2005 und Hansen/Cunningham 2009); neuer-
dings haben die beiden Gelehrten auch eine revidierte Neuausgabe der beiden ersten, längst
vergriffenen Bände herausgebracht (Latte/Cunningham 2018 und 2020a—b), so dass das
vollständige Werk seit einem Jahr abgeschlossen vorliegt. Zu den Schicksalen der Hesych-
Edition vgl. Alpers 2006.
33 Dihle 2005, 7-8.
34 Dank der Freundlichkeit von Dr. Becht-Jördens konnten wir Dihlcs in seinem Besitz be-
findliches Handexemplar der Dissertation mit den handschriftlichen Anmerkungen Lattes
benutzen.

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