Nachruf auf Albrecht Dihle
In den auf die Promotion folgenden elf Jahren bis zu Lattes Emeritierung
(1957) förderte dieser den jungen Dihle in jeder Weise.41 Er stellte an sich und
andere schroffe fachliche Ansprüche, die auf viele abschreckend, auf Dihle aber
als Ansporn wirkten, und er war zugleich von einer erstaunlichen Großzügigkeit,
sowohl im Teilen von methodischen und sachlichen Einsichten als auch in der
praktischen Hilfsbereitschaft, mit der er für Dihle z. B. wissenschaftliche Kontak-
te anbahnte: So empfahl er ihn an den Philosophen Georg Misch (1878—1965),
der 1946 aus dem englischen Exil — als erster ins Ausland emigrierter Professor
überhaupt - nach Göttingen zurückgekehrt war und der zur Fortsetzung seiner
berühmten „Geschichte der Autobiographie“42 einen befähigten und an der Sa-
che interessierten Mitarbeiter für den byzantinischen Teil43 suchte. Dem die An-
tike betreffenden Teil von Mischs Werk sollte Dihle später seine „Studien zur
griechischen Biographie“44 und seine Abhandlung über die „Die Entstehung der
historischen Biographie“45 zur Seite stellen. Auch bei der Wahrnehmung der As-
sistentenstelle ließ Latte ihm die Freiheit, sich neben seinen Lehrveranstaltungen
vor allem auf die Abfassung seiner Habilitationsschrift zu konzentrieren. Diese
gilt dem akzentuierenden, d. h. auf der Opposition betonter und unbetonter Silben
beruhenden Versbau der griechischen Dichtung des byzantinischen Mittelalters,
der sich von der quantitierenden, d. h. auf der Opposition langer und kurzer Silben
aufgebauten Metrik der klassischen griechischen und römischen Dichtung deut-
lich unterscheidet.
Mitten in der Arbeit an diesem Vorhaben, im Jahre 1948, schickte ihm sein vor
dem Krieg nach England emigrierter jüdischer Schulfreund, der dort inzwischen
sein Studium beendet hatte, eine Einladung, ihn zu besuchen, und eine Fahrkarte
nach Oxford.46 Diese frühe, im Alter von 25 Jahren unternommene Reise wurde
nach den Begegnungen mit Alfons Maria Schneider und Kurt Latte zur dritten
prägenden Erfahrung in Dihles wissenschaftlichem Leben.47 Die Empfehlungs-
briefe seines im Ausland hochangesehenen Lehrers Latte öffneten ihm in Oxford
viele Türen, und er wurde von den dort tätigen Altertumswissenschaftlern mit
großer Freundlichkeit aufgenommen. Dabei lernte Dihle nicht nur herausragende
englische Gelehrte kennen wie Eric Robertson Dodds, den Regius Professor of
Greek, und Sir John Beazley, den Lincoln Professor of Classical Archaeology and
Art. Vielmehr hatte er dort Gelegenheit zu intensiven Gesprächen mit einer Reihe
von Forschern, die vor 1933 zur Elite der deutschen Altertumswissenschaft gezählt
41 Das Folgende nach Dihle 2005, 7—9.
42 Misch 31949-1969.
43 Misch 1962.
44 Dihle 1956.
45 Dihle 1987a.
46 Dihle 1994a, 5.
47 Zum Folgenden Dihle 1994a, 5—7.
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In den auf die Promotion folgenden elf Jahren bis zu Lattes Emeritierung
(1957) förderte dieser den jungen Dihle in jeder Weise.41 Er stellte an sich und
andere schroffe fachliche Ansprüche, die auf viele abschreckend, auf Dihle aber
als Ansporn wirkten, und er war zugleich von einer erstaunlichen Großzügigkeit,
sowohl im Teilen von methodischen und sachlichen Einsichten als auch in der
praktischen Hilfsbereitschaft, mit der er für Dihle z. B. wissenschaftliche Kontak-
te anbahnte: So empfahl er ihn an den Philosophen Georg Misch (1878—1965),
der 1946 aus dem englischen Exil — als erster ins Ausland emigrierter Professor
überhaupt - nach Göttingen zurückgekehrt war und der zur Fortsetzung seiner
berühmten „Geschichte der Autobiographie“42 einen befähigten und an der Sa-
che interessierten Mitarbeiter für den byzantinischen Teil43 suchte. Dem die An-
tike betreffenden Teil von Mischs Werk sollte Dihle später seine „Studien zur
griechischen Biographie“44 und seine Abhandlung über die „Die Entstehung der
historischen Biographie“45 zur Seite stellen. Auch bei der Wahrnehmung der As-
sistentenstelle ließ Latte ihm die Freiheit, sich neben seinen Lehrveranstaltungen
vor allem auf die Abfassung seiner Habilitationsschrift zu konzentrieren. Diese
gilt dem akzentuierenden, d. h. auf der Opposition betonter und unbetonter Silben
beruhenden Versbau der griechischen Dichtung des byzantinischen Mittelalters,
der sich von der quantitierenden, d. h. auf der Opposition langer und kurzer Silben
aufgebauten Metrik der klassischen griechischen und römischen Dichtung deut-
lich unterscheidet.
Mitten in der Arbeit an diesem Vorhaben, im Jahre 1948, schickte ihm sein vor
dem Krieg nach England emigrierter jüdischer Schulfreund, der dort inzwischen
sein Studium beendet hatte, eine Einladung, ihn zu besuchen, und eine Fahrkarte
nach Oxford.46 Diese frühe, im Alter von 25 Jahren unternommene Reise wurde
nach den Begegnungen mit Alfons Maria Schneider und Kurt Latte zur dritten
prägenden Erfahrung in Dihles wissenschaftlichem Leben.47 Die Empfehlungs-
briefe seines im Ausland hochangesehenen Lehrers Latte öffneten ihm in Oxford
viele Türen, und er wurde von den dort tätigen Altertumswissenschaftlern mit
großer Freundlichkeit aufgenommen. Dabei lernte Dihle nicht nur herausragende
englische Gelehrte kennen wie Eric Robertson Dodds, den Regius Professor of
Greek, und Sir John Beazley, den Lincoln Professor of Classical Archaeology and
Art. Vielmehr hatte er dort Gelegenheit zu intensiven Gesprächen mit einer Reihe
von Forschern, die vor 1933 zur Elite der deutschen Altertumswissenschaft gezählt
41 Das Folgende nach Dihle 2005, 7—9.
42 Misch 31949-1969.
43 Misch 1962.
44 Dihle 1956.
45 Dihle 1987a.
46 Dihle 1994a, 5.
47 Zum Folgenden Dihle 1994a, 5—7.
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