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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2016 — 2017

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2016
DOI Kapitel:
II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Schwinn, Thomas: Die Vielfalt der Moderne: Aspekte und Probleme einer Forschungsperspektive
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55652#0052
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II. Wissenschaftliche Vorträge

sich in den neueren Arbeiten an so mancher Stelle auf. Traditionen überleben und
erweisen sich als modernisierungsförderlich, wie z. B. am Entwicklungserfolg kon-
fuzianisch geprägter Länder diskutiert. Die Zeitbezüge der Moderne werden in
dem Multiple-Modernities-Ansatz neu gewichtet. Längerfristige historische Erb-
schaften wie die sogenannten Achsenzeitkulturen, unterschiedliche neuzeitliche
Wege und die im 19. Jahrhundert sich festigende moderne Konstellation stellen
unterschiedliche Zeitebenen und Kontexte dar, die für verschiedene Ausprägun-
gen von Modernitätsmustern relevant sind. Mit dem historischen Neusortieren von
Tradition und Moderne verliert jedoch die systematische Unterscheidung nicht ihre
Bedeutung. Traditionelle Elemente mögen in einer modernen Gesellschaft eine
produktive Rolle spielen, die Moderne selbst kann aber, wenn der Begriff einen
Sinn haben soll, nur als eine nicht-traditionale Ara verstanden werden.
3. Die Einheit und die Vielfalt der Moderne. Verschiedene Formen als modern
auszuzeichnen, setzt neben der Bestimmung der Vielfalt auch die der Einheit
der Moderne voraus. Was ist aber der gemeinsame Kern, der das universelle und
globalisierende Potential dieser Epoche ausmacht? Mit Charles Taylor (Das säku-
lare Zeitalter, 2012) kann man das Signum unserer Zeit in dem Übergang vom
transzendenten Rahmen der Achsenzeitkulturen hin zum immanenten Rahmen
der Moderne sehen. Die Moderne bricht mit der Vorstellung, die natürliche und
soziale Welt als Kosmos und Schöpfung transzendenter Mächte anzusehen. Reli-
gion verschwindet nicht, aber religiöser Glaube wird zur Option, er verliert seine
Selbstverständlichkeit. Mit der Immanentisierung wird das Selbstverständnis des
Menschen, die soziale Ordnung und das kulturelle Weltbild auf ein neues Prinzip
umgestellt. Die Moderne ist weniger durch einen bestimmten kulturellen Inhalt
als vielmehr eine bestimmte Art des Umgangs mit Kultur ausgezeichnet. Sie bietet
anders als die Religionen keine präzisen Weltbilder und Kosmologien, die Ant-
worten auf alle Fragen und Aspekte des Lebens geben. Die sozialen Ordnungen
werden aus ihrer bereichsübergreifenden Integration und Verklammerung durch
transzendierende Mächte entlassen und auf einen immanenten spannungsreichen
Kurs gesetzt, der ihre Eigengesetzlichkeiten und Eigenlogiken zur Entfaltung
bringt. Die Einheit der Moderne beruht auf dem immanenten Rahmen, dem In-
fragestellen aufgrund des Verlustes einer transzendenten Verankerung, die Vielfalt
darauf, dass dieser kulturelle und strukturelle Kern nicht statisch, sondern zutiefst
dynamisch und konfliktuell ist.
4. Die Moderne als normatives Projekt und als blinder Prozess. Vielen sozio-
logischen Theorien ist ein optimistischer Grundzug zu eigen. Die Moderne als
normatives Projekt, wie das Habermas bezeichnet hat, erhält Konkurrenz durch
Perspektiven, die in ihr nur noch blinde Progression zu entdecken vermögen. Ge-
waltphänomene stellen die zivilisierenden Wirkungen dieser Epoche in Frage; re-
ligiöser und politischer Fundamentalismus konkurriert mit dem vernunftbetonten
Verständnis der Moderne; und unkontrollierte Nebenfolgen ziehen die Sichtweise

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