Christoph Strohm
zu (zum Beispiel als Ersatz für noch nicht existierende Zeitungen). Das zeigt sich
unter Humanisten ebenso wie unter Reformatoren.
Während Korrespondenzen großer Humanisten und Reformatoren aus der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in zunehmendem Maß erschlossen und auch
digitalisiert worden sind, trifft das für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts und
den Beginn des 17. Jahrhunderts nicht zu. Zugleich hat diese Periode in den letz-
ten Jahrzehnten besondere Aufmerksamkeit in den Geschichtswissenschaften ge-
funden. Denn seit den 1980er Jahren ist die bis dahin herrschende Deutung, dass
der Weg in die Moderne im Wesentlichen als Säkularisierung, das heißt als Rück-
gang der Relevanz und Normativität von Religion für Staat und Gesellschaft, zu
beschreiben sei, grundlegend in Frage gestellt worden. Vielmehr sei die infolge
der Reformation einsetzende Konfessionalisierung ein eminent modernisierender
Vorgang gewesen. Sowohl die lutherische als auch die reformierte und die triden-
tinisch-katholische Konfessionalisierung hätten gleichermaßen modernisierende
Wirkung, insbesondere in Gestalt von konfessioneller Uniformierung, verstärkter
Sozialdisziplinierung und Verdichtung von Staatlichkeit, gezeitigt. Zugleich lassen
sich Phänomene grundlegender Säkularisierung beschreiben, wie zum Beispiel in
den großen Ordnungsleistungen des Augsburger Religionsfriedens von 1555 und
des Westfälischen Friedens von 1648. Eine genauere Bestimmung des Verhältnisses
von Säkularisierung und Konfessionalisierung ist gegenwärtig eine zentrale Frage
der Historiographie der Frühen Neuzeit. Sie hat auch erhebliche Implikationen
für die Deutung der Entstehungsgeschichte der westlichen Zivilisation insgesamt
(bis hin zur gegenwärtigen Frage der Rolle der Religion in der Öffentlichkeit).
Briefwechsel sind dann eine besonders ertragreiche Quelle, wenn man nicht
nur diejenigen einzelner Personen erschließt, sondern möglichst vollständig die
Korrespondenzen bestimmter Personengruppen in ausgewählten Regionen in
klaren Zeiträumen in den Blick nimmt. Dann lassen sich Netzwerke erschließen
und werden Muster allgemeiner Gültigkeit leichter sichtbar. Da Theologen bei der
Konfessionalisierung eine Schlüsselrolle gespielt haben, geben ihre Briefe, Wid-
mungsreden und gutachterlichen Äußerungen in besonderem Maß Auskunft über
Motive und Mechanismen der Konfessionalisierung.
Der Südwesten des Reichs mit seinen Territorien Württemberg und Kurpfalz
und bedeutsamen Reichsstädten (vor allem Straßburg und Ulm) war eine öko-
nomisch wie kulturell herausragende Region. Der Südwesten hat auch einen we-
sentlichen, noch immer nicht ausreichend gewürdigten Beitrag zur europäischen
Reformationsgeschichte geleistet. Hier erfolgten wesentliche Schritte der inner-
protestantischen Konfessionalisierung. In der Kurpfalz entstand 1563 mit dem
Heidelberger Katechismus eine der wichtigsten reformierten Bekenntnisschriften.
In Reaktion darauf wurde 1577 im benachbarten Württemberg die Konkordienfor-
mel als abschließendes lutherisches Bekenntnis formuliert. Straßburg war mit der
oberdeutschen Theologie Martin Bucers nicht nur ein wichtiger Ausgangspunkt
65
zu (zum Beispiel als Ersatz für noch nicht existierende Zeitungen). Das zeigt sich
unter Humanisten ebenso wie unter Reformatoren.
Während Korrespondenzen großer Humanisten und Reformatoren aus der
ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in zunehmendem Maß erschlossen und auch
digitalisiert worden sind, trifft das für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts und
den Beginn des 17. Jahrhunderts nicht zu. Zugleich hat diese Periode in den letz-
ten Jahrzehnten besondere Aufmerksamkeit in den Geschichtswissenschaften ge-
funden. Denn seit den 1980er Jahren ist die bis dahin herrschende Deutung, dass
der Weg in die Moderne im Wesentlichen als Säkularisierung, das heißt als Rück-
gang der Relevanz und Normativität von Religion für Staat und Gesellschaft, zu
beschreiben sei, grundlegend in Frage gestellt worden. Vielmehr sei die infolge
der Reformation einsetzende Konfessionalisierung ein eminent modernisierender
Vorgang gewesen. Sowohl die lutherische als auch die reformierte und die triden-
tinisch-katholische Konfessionalisierung hätten gleichermaßen modernisierende
Wirkung, insbesondere in Gestalt von konfessioneller Uniformierung, verstärkter
Sozialdisziplinierung und Verdichtung von Staatlichkeit, gezeitigt. Zugleich lassen
sich Phänomene grundlegender Säkularisierung beschreiben, wie zum Beispiel in
den großen Ordnungsleistungen des Augsburger Religionsfriedens von 1555 und
des Westfälischen Friedens von 1648. Eine genauere Bestimmung des Verhältnisses
von Säkularisierung und Konfessionalisierung ist gegenwärtig eine zentrale Frage
der Historiographie der Frühen Neuzeit. Sie hat auch erhebliche Implikationen
für die Deutung der Entstehungsgeschichte der westlichen Zivilisation insgesamt
(bis hin zur gegenwärtigen Frage der Rolle der Religion in der Öffentlichkeit).
Briefwechsel sind dann eine besonders ertragreiche Quelle, wenn man nicht
nur diejenigen einzelner Personen erschließt, sondern möglichst vollständig die
Korrespondenzen bestimmter Personengruppen in ausgewählten Regionen in
klaren Zeiträumen in den Blick nimmt. Dann lassen sich Netzwerke erschließen
und werden Muster allgemeiner Gültigkeit leichter sichtbar. Da Theologen bei der
Konfessionalisierung eine Schlüsselrolle gespielt haben, geben ihre Briefe, Wid-
mungsreden und gutachterlichen Äußerungen in besonderem Maß Auskunft über
Motive und Mechanismen der Konfessionalisierung.
Der Südwesten des Reichs mit seinen Territorien Württemberg und Kurpfalz
und bedeutsamen Reichsstädten (vor allem Straßburg und Ulm) war eine öko-
nomisch wie kulturell herausragende Region. Der Südwesten hat auch einen we-
sentlichen, noch immer nicht ausreichend gewürdigten Beitrag zur europäischen
Reformationsgeschichte geleistet. Hier erfolgten wesentliche Schritte der inner-
protestantischen Konfessionalisierung. In der Kurpfalz entstand 1563 mit dem
Heidelberger Katechismus eine der wichtigsten reformierten Bekenntnisschriften.
In Reaktion darauf wurde 1577 im benachbarten Württemberg die Konkordienfor-
mel als abschließendes lutherisches Bekenntnis formuliert. Straßburg war mit der
oberdeutschen Theologie Martin Bucers nicht nur ein wichtiger Ausgangspunkt
65