III. Veranstaltungen
ersten Stein stand: „Emmeram der Aquitanier und Dionysius Areopagita ruhen
hier unter der Herrschaft Kaiser Arnulfs und des König Odo“, auf einem weiteren
war zu lesen: „Unter Abt Ebulo von St-Denis hat Gisalpertus [ihn] gestohlen“.
Groß war die Freude aller Konventualen, weil endlich vor aller Augen die Vereh-
rung des heiligen Dionysius erfolgen konnte, die man so lange hatte unterdrücken
müssen. Der Heilige war nämlich von besonderer Kraft: Schüler des Apostels Pau-
lus, Märtyrerbischof von Paris und Verfasser eines Werkes über die „Hierarchie
der Engel“. So berichtet die ältere Translatio sancti Dionysii über die Regensburger
Vorgänge, die die hagiographische Gattung eines Berichts, wie Heiligenreliquien
zu einem neuen Verchrungsort verbracht werden, auf eigenartige Weise erfüllt.
Man darf nämlich davon ausgehen, dass alle Fakten, die die Übertragung - besser:
den Raub - der Gebeine des heiligen Dionysius von seiner Grabeskirche in St-De-
nis bei Paris ins Grabeskloster des heiligen Emmeram im sehr fernen Regensburg
betreffen, reine Fabeln sind. Was wohl eher den Anschein der Faktizität hat, das
ist der „Fund“ der Steine, wenn sie auch sicher kurz zuvor erst fabriziert wurden
und ihre glückliche Auffindung inszeniert war. Die gefälschten Ziegelsteine gibt es
übrigens noch heute, im Museum der Diözese Regensburg.
Der Verfasser des älteren Translationsberichts gab sich alle Mühe, dem „Fund“
Glaubwürdigkeit zu verleihen und scheute sich nicht, eine heikle Kriminalge-
schichte um den Raub aus St. Denis in Kauf zu nehmen, die von Lug und Trug
nur so strotzt. Einige Jahre später setzte sich ein weiterer Mönch aus St. Emmeram
daran, die Erzählung durch stärkere psychologische Motivation und Absicherung
durch historische Quellen plausibler zu machen. Die ganze Fiktion wurde in ein
Gewebe von historischen Bezügen und vertrauten geistlichen Wendungen einge-
schlagen, heraus kam ein Werk von literarischem Rang. Die Wirkmächtigkeit der
Fiktion war gar so stark, dass die Erstausgabe der jüngeren Translation von 1750
noch ganz im Sinne der Beglaubigung des St. Emmeramer Patrons Sankt Diony-
sius herauskam. Erst die folgende, 2013 erschienene kritische Neuausgabe in den
Monumenta Germaniae Historica enthüllte aufgrund der inzwischen bekannten
Originalhandschrift das Ausmaß der Fabrikation.
Über das Mittelalter als „Zeit der Fälschungen“ sind schon ganze Biblio-
theken geschrieben worden, wie man den Sprung vom unfrommen Betrug zum
frommen Glauben begreifen soll. Einer der Altmeister der Fälschungsforschung,
der frühere Präsident der Monumenta Germaniae Historica Horst Fuhrmann,
hat in seinem Werkes über „Einfluss und Verbreitung der pseudoisidorischen
Fälschungen“ (1972) einen weitgespannten Überblick zum Thema und zu den
Deutungsversuchen gegeben, dem im Jahre 1986 ein mehrtägiger Kongress der
Monumenta Germaniae Historica zu „Fälschungen im Mittelalter“ folgte, der das
Thema enzyklopädisch und eng am Stoff behandelte. Jedoch: So viele Fälschun-
gen, so viele Gründe, Antriebe und Methoden, und trotz der in vielen Arbei-
ten beschriebenen historischen, theologischen und verständnispsychologischen
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ersten Stein stand: „Emmeram der Aquitanier und Dionysius Areopagita ruhen
hier unter der Herrschaft Kaiser Arnulfs und des König Odo“, auf einem weiteren
war zu lesen: „Unter Abt Ebulo von St-Denis hat Gisalpertus [ihn] gestohlen“.
Groß war die Freude aller Konventualen, weil endlich vor aller Augen die Vereh-
rung des heiligen Dionysius erfolgen konnte, die man so lange hatte unterdrücken
müssen. Der Heilige war nämlich von besonderer Kraft: Schüler des Apostels Pau-
lus, Märtyrerbischof von Paris und Verfasser eines Werkes über die „Hierarchie
der Engel“. So berichtet die ältere Translatio sancti Dionysii über die Regensburger
Vorgänge, die die hagiographische Gattung eines Berichts, wie Heiligenreliquien
zu einem neuen Verchrungsort verbracht werden, auf eigenartige Weise erfüllt.
Man darf nämlich davon ausgehen, dass alle Fakten, die die Übertragung - besser:
den Raub - der Gebeine des heiligen Dionysius von seiner Grabeskirche in St-De-
nis bei Paris ins Grabeskloster des heiligen Emmeram im sehr fernen Regensburg
betreffen, reine Fabeln sind. Was wohl eher den Anschein der Faktizität hat, das
ist der „Fund“ der Steine, wenn sie auch sicher kurz zuvor erst fabriziert wurden
und ihre glückliche Auffindung inszeniert war. Die gefälschten Ziegelsteine gibt es
übrigens noch heute, im Museum der Diözese Regensburg.
Der Verfasser des älteren Translationsberichts gab sich alle Mühe, dem „Fund“
Glaubwürdigkeit zu verleihen und scheute sich nicht, eine heikle Kriminalge-
schichte um den Raub aus St. Denis in Kauf zu nehmen, die von Lug und Trug
nur so strotzt. Einige Jahre später setzte sich ein weiterer Mönch aus St. Emmeram
daran, die Erzählung durch stärkere psychologische Motivation und Absicherung
durch historische Quellen plausibler zu machen. Die ganze Fiktion wurde in ein
Gewebe von historischen Bezügen und vertrauten geistlichen Wendungen einge-
schlagen, heraus kam ein Werk von literarischem Rang. Die Wirkmächtigkeit der
Fiktion war gar so stark, dass die Erstausgabe der jüngeren Translation von 1750
noch ganz im Sinne der Beglaubigung des St. Emmeramer Patrons Sankt Diony-
sius herauskam. Erst die folgende, 2013 erschienene kritische Neuausgabe in den
Monumenta Germaniae Historica enthüllte aufgrund der inzwischen bekannten
Originalhandschrift das Ausmaß der Fabrikation.
Über das Mittelalter als „Zeit der Fälschungen“ sind schon ganze Biblio-
theken geschrieben worden, wie man den Sprung vom unfrommen Betrug zum
frommen Glauben begreifen soll. Einer der Altmeister der Fälschungsforschung,
der frühere Präsident der Monumenta Germaniae Historica Horst Fuhrmann,
hat in seinem Werkes über „Einfluss und Verbreitung der pseudoisidorischen
Fälschungen“ (1972) einen weitgespannten Überblick zum Thema und zu den
Deutungsversuchen gegeben, dem im Jahre 1986 ein mehrtägiger Kongress der
Monumenta Germaniae Historica zu „Fälschungen im Mittelalter“ folgte, der das
Thema enzyklopädisch und eng am Stoff behandelte. Jedoch: So viele Fälschun-
gen, so viele Gründe, Antriebe und Methoden, und trotz der in vielen Arbei-
ten beschriebenen historischen, theologischen und verständnispsychologischen
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