12. Wissen(schaft), Zahl und Macht (WIN-Programm)
der ab der Mitte des 13. Jahrhunderts vermehrt ganz unterschiedliche Bereiche des
Lebens angegangen wurden:11 Die Ausweitung des Münz- und Kreditwesen, neue
Techniken zur Vermessung von Ländereien und Bezifferung von Lehenspflichten
sowie, nicht zuletzt, neue Formen der Zeitmessung (so wurden die temporalen
Stunden unterschiedlicher Länge durch die konstanten äquinoktialen Stunden ab-
gelöst). Die Quantifizierung von Frömmigkeit lässt sich hier als ein weiterer Be-
reich einreihen, der stark von einem messenden Zugang geprägt wurde.
Diese Beobachtungen schließen wiederum grundsätzlich andere Zugänge und
Annäherungen an das Heilige natürlich keineswegs aus. Während Martin Wan-
ner, der 1507 einen Bericht über die Pilgerreise Herzog Friedrichs II. von Liegnitz
verfasste, in Jerusalem detailliert Stufen, Steine und Sockel vermaß12, brach die
englische Pilgerin Margery Kempe auf ihrer Jerusalemreise Anfang des 15. Jahr-
hunderts alle paar Meter vor Ergriffenheit in lautes Weinen und Schluchzen aus.
Ihre Ergriffenheit zeigte sich emotional — ganz „ohne Maß“, wie ihr Bericht er-
klärt, „weil sie sich nicht zurückhalten konnte.“13
12. Wissen(schaft), Zahl und Macht. Zeitgenössische Politik
zwischen Rationalisierung und Zahlenhörigkeit
Kollegiat: Dr. Markus J. Prutsch1
Mitarbeiter: Lars Lehmann
In Zusammenarbeit mit Dr. Georg von Graevenitz, Dr. Kathrine von Graevenitz,
Dr. Kelly L. Grotke, Dr. Stephen W Hastings-King
I Europäisches Parlament, Brüssel/Universität Heidelberg
1. Die Aktivitäten des Forschungsprojektes im Überblick
Dem gegenwärtigen Stand sowie den damit in Zusammenhang stehenden Chan-
cen und Gefahren eines „verwissenschaftlichten“ Politikbetriebes im Allgemei-
nen und der Rolle von Zahlen in politischen Entscheidungsprozessen im Be-
sonderen widmete sich das WIN-Projekt Wissen(schaft), Zahl und Macht 2016 in
seinem nunmehr dritten Jahr.
II DazuA/fred W. Crosby, The measure ofreality. Quantification and Western society, 1250-1600,
Cambridge 1997.
12 Die Pilgerfahrt des Herzogs Friedrich II. von Liegnitz und Brieg nach dem heiligen Lande und
die Descriptio templi Domini von Philippus de Aversa, hg. von Reinhold Röhricht und Heinrich
Meisner, in: Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins 1 (1S78), S. 101-131, 177-215.
13 jer cryed sehe & wept wyth-owtyn mesur jat sehe myth not restreyn hir-self. The book of Margery
Kempe, hg. von Sanford Brown Meech und Emily Allen (Early English Text Society, Original
Series 212), London 1940, S. 71 (cap 29).
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der ab der Mitte des 13. Jahrhunderts vermehrt ganz unterschiedliche Bereiche des
Lebens angegangen wurden:11 Die Ausweitung des Münz- und Kreditwesen, neue
Techniken zur Vermessung von Ländereien und Bezifferung von Lehenspflichten
sowie, nicht zuletzt, neue Formen der Zeitmessung (so wurden die temporalen
Stunden unterschiedlicher Länge durch die konstanten äquinoktialen Stunden ab-
gelöst). Die Quantifizierung von Frömmigkeit lässt sich hier als ein weiterer Be-
reich einreihen, der stark von einem messenden Zugang geprägt wurde.
Diese Beobachtungen schließen wiederum grundsätzlich andere Zugänge und
Annäherungen an das Heilige natürlich keineswegs aus. Während Martin Wan-
ner, der 1507 einen Bericht über die Pilgerreise Herzog Friedrichs II. von Liegnitz
verfasste, in Jerusalem detailliert Stufen, Steine und Sockel vermaß12, brach die
englische Pilgerin Margery Kempe auf ihrer Jerusalemreise Anfang des 15. Jahr-
hunderts alle paar Meter vor Ergriffenheit in lautes Weinen und Schluchzen aus.
Ihre Ergriffenheit zeigte sich emotional — ganz „ohne Maß“, wie ihr Bericht er-
klärt, „weil sie sich nicht zurückhalten konnte.“13
12. Wissen(schaft), Zahl und Macht. Zeitgenössische Politik
zwischen Rationalisierung und Zahlenhörigkeit
Kollegiat: Dr. Markus J. Prutsch1
Mitarbeiter: Lars Lehmann
In Zusammenarbeit mit Dr. Georg von Graevenitz, Dr. Kathrine von Graevenitz,
Dr. Kelly L. Grotke, Dr. Stephen W Hastings-King
I Europäisches Parlament, Brüssel/Universität Heidelberg
1. Die Aktivitäten des Forschungsprojektes im Überblick
Dem gegenwärtigen Stand sowie den damit in Zusammenhang stehenden Chan-
cen und Gefahren eines „verwissenschaftlichten“ Politikbetriebes im Allgemei-
nen und der Rolle von Zahlen in politischen Entscheidungsprozessen im Be-
sonderen widmete sich das WIN-Projekt Wissen(schaft), Zahl und Macht 2016 in
seinem nunmehr dritten Jahr.
II DazuA/fred W. Crosby, The measure ofreality. Quantification and Western society, 1250-1600,
Cambridge 1997.
12 Die Pilgerfahrt des Herzogs Friedrich II. von Liegnitz und Brieg nach dem heiligen Lande und
die Descriptio templi Domini von Philippus de Aversa, hg. von Reinhold Röhricht und Heinrich
Meisner, in: Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins 1 (1S78), S. 101-131, 177-215.
13 jer cryed sehe & wept wyth-owtyn mesur jat sehe myth not restreyn hir-self. The book of Margery
Kempe, hg. von Sanford Brown Meech und Emily Allen (Early English Text Society, Original
Series 212), London 1940, S. 71 (cap 29).
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