Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Editor]; Schwabe AG [Editor]; Fuchs, Thomas [Editor]; Halfwassen, Jens [Editor]; Schulz, Reinhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Editor]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0023
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
XXII

Einleitung des Herausgebers

keit der Mehrheit« dadurch zu bedienen, dass man den Studierenden den eigenständi-
gen geistigen Weg durch einen schulmäßigen Betrieb abnehme, seien zu bekämpfen.
Eine mit dieser Argumentation korrespondierende Stellungnahme findet sich auch
in Die geistige Situation der Zeit, in der Jaspers die Krise der Wissenschaft auf die Krise
des Menschen selbst und sein Massendasein zurückführt.* * * * * * 77 Das Massendasein habe an
Hochschulen die Tendenz, Wissenschaft als Wissenschaft zu vernichten, indem es von
dieser fordere, sich praktischen Zielen und Zwecken unterzuordnen. Statt der Hoch-
schule, die von der geistigen Unruhe des sapere aude! lebe, entstehe »bloße Schule«.
Aber ohne Wagnis der Freiheit, so Jaspers, werde auch die Möglichkeit eigenen Den-
kens nicht eröffnet.78 Aus der Kritik an der mit dem Massendasein verbundenen gesell-
schaftlichen wie hochschulpolitischen Rahmung des universitären Lebens erwächst
bei Jaspers die Sehnsucht nach einem »Staatswillen«, der die volle akademische Frei-
heit und das Primat des geistesaristokratischen Prinzips garantiert.
Vor dem Hintergrund, dass kaum mehr als ein Jahr nach Erscheinen des Artikels
Adolf Hitler zum Reichskanzler gewählt wurde, nimmt der von Jaspers in diesem Zu-
sammenhang ausgesprochene Appell im Rückblick trotz dezidiert neuhumanisti-
scher Gesinnung eine zweifelhafte politische Note an. So schreibt er: »Wir müssen aus-
schauen, wo die politische Macht ist, die gegen die Bodenlosigkeit intellektueller
Spielerei und gegen die Verschulungstendenzen der Menge unser eigenstes deutsches
Gut, die Substanz unserer geistigen Tradition, die zugleich Weltgeltung hat, zu ihrer Sa-
che macht.«79 Obwohl Jaspers damit keinerlei politisches Bekenntnis ablegt, erschien
dem damals nach eigener Schilderung politisch unbedarften,80 von der Hochschulpo-
litik der Weimarer Demokratie enttäuschten Jaspers ein politischer Umbruch im ers-
ten Augenblick offenbar als Gelegenheit, dem Konzept der deutschen Bildungsuniver-
sität im Klima einer nationalen Aufbruchbewegung zu neuer Geltung zu verhelfen.
Konkrete Gestalt nahm diese Hoffnung in den letzten Überlegungen zur Universitäts-

deutschsprachige Universität Straßburg angewendet. Später wurden die nationalsozialistischen
Neugründungen der Universitäten Prag (1939), Posen (1941) und wiederum Straßburg (1941) als
»Reichsuniversitäten« bezeichnet. Ein Grundgedanke der Reichsuniversität, den Jaspers hier of-
fensichtlich vor Augen hat, besteht neben ihrer Neugründung im Geiste der Zeit, der Erprobung
neuer Organisationsstrukturen und der Unterstellung unter die Reichshoheit vor allem in einer
gezielten Förderung als Elitehochschule.
77 Vgl. K. Jaspers: Die geistige Situation der Zeit, 134-136.
78 Ebd., 127.
79 K. Jaspers: »... könnte wieder eine Rangordnung«, in diesem Band, 71.
80 So schrieb Jaspers im Geleitwort zur Neuausgabe der Geistigen Situation der Zeitig 46: »Dieses Buch
ist im Jahre 1930 geschrieben. Ich hatte damals kaum Kenntnis vom Nationalsozialismus, etwas
mehr Kunde vom Faschismus. In der Befriedigung über den gerade erreichten Abschluß des Ma-
nuskripts war ich bei den Septemberwahlen 1930 erstaunt und erschrocken über den damals ers-
ten Erfolg der Nationalsozialisten« (ebd., 194); vgl. zu Jaspers’ Fehleinschätzung des politischen
Umbruchs auch: Philosophische Autobiographie, 72; »Karljaspers - Ein Selbstporträt« [1966/67], 35;
ders.: »Doktor der Philosophie« [1955], 15.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften