Einleitung des Herausgebers
XXXIX
landläufigen Vorurteilen zur Geltung zu bringen. So sei die Universität zwar »eine ei-
gene Welt«, schaffe aber mit »an dem geistigen Raum, in dem wir gemeinsam leben«.168
Die Eigenständigkeit der universitären Welt rechtfertigt Jaspers mit dem Argument,
dass das geistige Leben in den Wissenschaften nur dann gedeihen könne, wenn die
schaffenden Persönlichkeiten nicht durch Zwecksetzungen von außen oder vorherige
Festsetzung der Wahrheit der Ergebnisse eingeschränkt würden. Freiheit, so Jaspers,
sei die »Lebensluft der Universität«.169 Die Universität diene dem Volk durch Vermeh-
rung und Steigerung der Erkenntnis ebenso wie durch die wissenschaftliche Erziehung
und Ausbildung der befähigten Jugend. Insofern diese in den akademischen Berufen
wirke, sei die Universität eine »Sache des ganzen Volkes«.170
Die Rechtfertigung des Fortbestehens der traditionellen deutschen Idee und Ge-
stalt der Universität bildet auch das zentrale Thema der Ansprache »Die Verantwort-
lichkeit der Universitäten«, die Jaspers bei einer Konferenz der Universitätsrektoren
der US-Zone gehalten hat.171 Mit Blick auf eine mögliche Umstrukturierung der deut-
schen Universitätslandschaft durch die Siegermächte verteidigt er darin die Ansicht,
die Ausbildung an der Hochschule bestehe wesentlich in der »Teilnahme am Prozeß
der Wahrheitssuche selber«, und plädiert dafür, die Beschränkung der Hochschulaus-
bildung auf Berufe aufrechtzuerhalten, für die eine forschende, selbstreflexive Haltung
vonnöten sei. Auch in dieser Ansprache wird das Verhältnis von Volk und Universität
dezidiert als ein wechselseitiges Abhängigkeitsmodell entworfen. Einerseits könne der
»Geist der Universität« nur in Einmütigkeit mit dem Willen des Volkes wieder ent-
flammt werden. Andererseits sieht er den gesellschaftlichen Auftrag der Universität
darin, »die geistige Springfeder der kommenden Demokratie als Ethos und Lebensart«
zu sein und Impulse für die nach der nationalsozialistischen Katastrophe gebotene
»Revolution der Denkungsart«172 zu geben. Einen besonderen Akzent legt Jaspers bei
168 K. Jaspers: »Volk und Universität«, in diesem Band, 203.
169 Ebd.,204.
170 Ebd.
171 EV in: Die Neue Zeitung. Eine amerikanische Zeitung für die deutsche Bevölkerung, Nr. 39 (16.5.1947)
3. Bei der im redaktionellen Zusatz des Artikels genannten Konferenz handelt es sich mit hoher
Wahrscheinlichkeit um die Sitzung des erweiterten Verfassungsausschusses der Rektorenkonfe-
renz der US-Zone vom 21. bis 22. April 1947 (vgl. UAH B-203/3).
172 Mit diesem Ausdruck lehnt sich Jaspers an ein in der Kritik der reinen Vernunft formuliertes Dik-
tum Kants an. Dieser hatte in Bezug auf die von Kopernikus bei der Beobachtung des Sternenhim-
mels vollzogene Abkehr von der bislang üblichen Grundannahme, »das ganze Sternheer drehe
sich um den Zuschauer« (Kant), von einer »Revolution der Denkart« gesprochen. Der Perspekti-
venwechsel des Kopernikus, der das heliozentrische Weltbild begründete, wurde Kant zum Vor-
bild für seinen deshalb als »kopernikanische Wende« bezeichneten Grundgedanken, dass nicht
die Welt der Gegenstände, sondern die Anschauungsformen von Raum und Zeit sowie die Kate-
gorien des Verstandes die ersten Bedingungen und Möglichkeiten jeder Erfahrung darstellen, sich
letztlich also nicht die Erkenntnis nach den Gegenständen richtet, sondern umgekehrt die Ge-
genstände nach der Erkenntnis (vgl. ders.: AAIII, n, 12).
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landläufigen Vorurteilen zur Geltung zu bringen. So sei die Universität zwar »eine ei-
gene Welt«, schaffe aber mit »an dem geistigen Raum, in dem wir gemeinsam leben«.168
Die Eigenständigkeit der universitären Welt rechtfertigt Jaspers mit dem Argument,
dass das geistige Leben in den Wissenschaften nur dann gedeihen könne, wenn die
schaffenden Persönlichkeiten nicht durch Zwecksetzungen von außen oder vorherige
Festsetzung der Wahrheit der Ergebnisse eingeschränkt würden. Freiheit, so Jaspers,
sei die »Lebensluft der Universität«.169 Die Universität diene dem Volk durch Vermeh-
rung und Steigerung der Erkenntnis ebenso wie durch die wissenschaftliche Erziehung
und Ausbildung der befähigten Jugend. Insofern diese in den akademischen Berufen
wirke, sei die Universität eine »Sache des ganzen Volkes«.170
Die Rechtfertigung des Fortbestehens der traditionellen deutschen Idee und Ge-
stalt der Universität bildet auch das zentrale Thema der Ansprache »Die Verantwort-
lichkeit der Universitäten«, die Jaspers bei einer Konferenz der Universitätsrektoren
der US-Zone gehalten hat.171 Mit Blick auf eine mögliche Umstrukturierung der deut-
schen Universitätslandschaft durch die Siegermächte verteidigt er darin die Ansicht,
die Ausbildung an der Hochschule bestehe wesentlich in der »Teilnahme am Prozeß
der Wahrheitssuche selber«, und plädiert dafür, die Beschränkung der Hochschulaus-
bildung auf Berufe aufrechtzuerhalten, für die eine forschende, selbstreflexive Haltung
vonnöten sei. Auch in dieser Ansprache wird das Verhältnis von Volk und Universität
dezidiert als ein wechselseitiges Abhängigkeitsmodell entworfen. Einerseits könne der
»Geist der Universität« nur in Einmütigkeit mit dem Willen des Volkes wieder ent-
flammt werden. Andererseits sieht er den gesellschaftlichen Auftrag der Universität
darin, »die geistige Springfeder der kommenden Demokratie als Ethos und Lebensart«
zu sein und Impulse für die nach der nationalsozialistischen Katastrophe gebotene
»Revolution der Denkungsart«172 zu geben. Einen besonderen Akzent legt Jaspers bei
168 K. Jaspers: »Volk und Universität«, in diesem Band, 203.
169 Ebd.,204.
170 Ebd.
171 EV in: Die Neue Zeitung. Eine amerikanische Zeitung für die deutsche Bevölkerung, Nr. 39 (16.5.1947)
3. Bei der im redaktionellen Zusatz des Artikels genannten Konferenz handelt es sich mit hoher
Wahrscheinlichkeit um die Sitzung des erweiterten Verfassungsausschusses der Rektorenkonfe-
renz der US-Zone vom 21. bis 22. April 1947 (vgl. UAH B-203/3).
172 Mit diesem Ausdruck lehnt sich Jaspers an ein in der Kritik der reinen Vernunft formuliertes Dik-
tum Kants an. Dieser hatte in Bezug auf die von Kopernikus bei der Beobachtung des Sternenhim-
mels vollzogene Abkehr von der bislang üblichen Grundannahme, »das ganze Sternheer drehe
sich um den Zuschauer« (Kant), von einer »Revolution der Denkart« gesprochen. Der Perspekti-
venwechsel des Kopernikus, der das heliozentrische Weltbild begründete, wurde Kant zum Vor-
bild für seinen deshalb als »kopernikanische Wende« bezeichneten Grundgedanken, dass nicht
die Welt der Gegenstände, sondern die Anschauungsformen von Raum und Zeit sowie die Kate-
gorien des Verstandes die ersten Bedingungen und Möglichkeiten jeder Erfahrung darstellen, sich
letztlich also nicht die Erkenntnis nach den Gegenständen richtet, sondern umgekehrt die Ge-
genstände nach der Erkenntnis (vgl. ders.: AAIII, n, 12).