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Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0046
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Einleitung des Herausgebers

XLV

ger Gutachtens besteht allerdings weniger in der Bewertung der einzelnen Vorschläge
als vielmehr in seiner pessimistischen Sicht in Bezug auf die personellen Ressourcen
der deutschen Massenuniversität und der Feststellung, dass »das gemeinsame Ethos
eines verbindenden politisch-gesellschaftlichen Zustandes« fehle.201 Die in den Jah-
ren 1945-1947 noch deutlich vom Optimismus einer gesellschaftlichen und wissen-
schaftspolitischen Umkehr beseelten Äußerungen zur Universität schlagen an dieser
Stelle erstmals um in eine erkennbare Ernüchterung über den geistigen Zustand und
die politischen Entwicklungen im Nachkriegsdeutschland, die ihn ein Jahr zuvor dazu
bewogen hatten, den Ruf an die Universität Basel anzunehmen.
Sieben Jahre nach der Veröffentlichung seiner Kritik am Hamburger Gutachten er-
griff Jaspers in seinem in der Zeitschrift Die Gegenwart veröffentlichten Artikel »Vom
rechten Geist der Universität«202 erneut das Wort, in dem er einen zwei Wochen zu-
vor erschienenen Beitrag des Vorsitzenden der Westdeutschen Rektorenkonferenz,
Helmut Coing, kommentierte. Coing hatte »Die Lage der deutschen Hochschulen«203
im gleichnamigen Artikel unter dem Gesichtspunkt »jahrelanger Vernachlässigung«
analysiert und dabei die Befürchtung geäußert, die deutsche Universität bleibe hinter
den Erfordernissen der Zeit zurück. Als Hauptursache nennt Coing ein völlig aus dem
Gleichgewicht gebrachtes Verhältnis zwischen Lehrkörper und Studierendenzahl, das
zur Folge habe, dass in vielen Fächern nur noch eine kleine Elite wirklich gut ausgebil-
det werden könne. Coing empfiehlt daher eine umfassende Erhöhung der finanziellen
Mittel, um die Hochschulen wieder funktionsfähig zu machen,204 sowie eine deutli-
che Ausweitung von Stipendien, um dem verbreiteten Werkstudententum zu begeg-
nen. Jaspers teilt in seiner Erwiderung weitgehend Coings Auffassung, hält aber jeden
Reformversuch für vergeblich, solange nicht gleichzeitig der Geist der Universität eine
Erneuerung erfahre. Ein Programm zur Verbesserung der universitären Lage müsse
neben einer institutionellen Neuordnung ein »Prooimion«205 enthalten, das die Auf-
gaben des geistigen Lebens, d.h. die Entwicklung eines wissenschaftlichen, vom Wil-
len zum Geiste getragenen Ethos vor Augen bringe. Mit Blick auf den damals breit dis-
kutierten »Fall Schlüter«206 betont Jaspers, dass auch der Geist der Verwaltung einer

201 Ebd., 230.
202 In: Die Gegenwart, Nr. 13 (30.6.1956) 405-406; in diesem Band, 237-239.
203 H. Coing: »Die Lage der deutschen Hochschulen«, in: Die Gegenwart, Nr. 12 (16.6.1956) 357-369.
204 Ebd., 369.
205 Griech. für eine »Vorrede« oder ein einleitendes Kapitel.
206 Am 26. Mai 1955 wurde das Kabinett des designierten niedersächsischen CDU-Ministerpräsiden-
ten Hellwege vorgestellt. Leonhard Schlüter, zu dieser Zeit Mitglied der FDP, wurde zum Kultus-
minister ernannt, was einen Sturm des Protests auslöste. Schlüter hatte neonazistische Schriften
verlegt, war Gründungsmitglied der rechtsradikalen Partei SRP und 1947 als Göttinger Kriminal-
inspektor von der Staatsanwaltschaft wegen Amtsmissbrauchs, Freiheitsberaubung und Unter-
schlagung angeklagt worden. Zudem konnte er fachlich keinerlei adäquate Qualifikation vorwei-
sen. Der Widerstand ging von der Universität Göttingen aus, wo der damalige Rektor Emil
 
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